by Tani Schipek
Das Display meines Smartphones leuchtet. Es ist eine Nachricht von dir: „Komm runter“. Ich stehe vom Bett auf, auf dem ich mich gerade durch mein Mathebuch kämpfe. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich zwei Lichter auf der dunklen Straße. Es sind die eckigen Scheinwerfer deines Volvos. Ich muss lächeln und ziehe mir einen Hoodie über. Es ist schon spät, aber meine Eltern sitzen noch unten im Wohnzimmer und schauen fern. Auf Zehenspitzen schleiche ich die Treppe herunter. Das Sofa steht mit dem Rücken zum Flur. Nur ein Blick nach hinten von einem der beiden und ich fliege auf. An der Haustür angekommen, drücke ich langsam die Klinke nach unten und husche nach draußen. Schnellen Schrittes gehe ich zum Auto, öffne die Beifahrertür und setze mich rein. Ich muss kichern. Adrenalin schießt durch meinen Körper. Ich mache solche Sachen nicht, mich rausschleichen und so. Aber es fühlt sich gut an. Ich fühle mich lebendig. Wir gucken uns an und du legst deine Hand auf mein Knie. „Hi“, sage ich leise. Du grinst, dann lässt du den Motor an. „Hey, wo fahren wir hin?“, frage ich etwas erschrocken darüber, dass wir nicht einfach vor der Tür stehen bleiben, fest davon überzeugt, dass du mich nur kurz sehen wolltest. „Ich will dir was zeigen. Ist nicht weit.“ Wir fahren durch die schummrig beleuchteten Straßen. Im Auto ist es etwas stickig, weshalb ich das Fenster herunterkurbele. Ich halte meine Hand heraus, schließe die Augen und genieße den milden Luftzug, der meine Haare tanzen lässt. Wir sind jetzt außerhalb der Stadt und du biegst in einen Schotterweg ein. Ich weiß, wo wir sind und bin gespannt, was du vorhast. „Bleib sitzen“, sagst du, steigst aus, kommst auf meine Seite und öffnest mir die Tür. Das machst du immer und ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Du nimmst meine Hand und ziehst mich, ohne ein Wort zu sagen, sanft hinter dir her. Wir laufen eine kleine Steigung hoch, bis wir auf der Brücke sind, die über den Kanal führt. Dann kletterst du die Streben hoch bis zu dem höchsten Querbalken, setzt dich hin und rufst herunter: „Komm hoch!“ Mein Körper beginnt innerlich zu wanken. „Du spinnst. Ich geh’ da nicht hoch.“ Obwohl es bei dir so leicht aussah und von hier unten auch gar nicht so hoch, sträubt sich alles in mir dagegen. „Okay, dann bleib, wo du bist. Lass mich nur kurz die Aussicht genießen.“ Ich hatte damit gerechnet, dass du versuchst mich zu überreden, mich unter Druck setzt, aber das tust du nicht. Irgendwie beruhigt mich das. Das Wackeln hört auf, meine Beine haben wieder Halt auf dem Boden. Ich will jetzt zu dir, auch wenn die Angst immer noch da ist. Du würdest mich nicht in Gefahr bringen. Also klettere ich behutsam den gleichen Weg entlang, den du gegangen bist. Sobald ich oben angekommen bin, setze ich mich hin und umklammere eine der Streben. Jetzt sehe ich erst, wie hoch wir sind. Unter meinen Füßen ist nichts, nur Wasser, das ich irgendwo in der Ferne glitzern sehe. Du legst wieder deine Hand auf mein Bein. „Guck nach vorne, nicht nach unten. Konzentrier’ dich auf den Horizont.“ Ich tue, was du sagst und trotz der ganzen Angst ist es irgendwie schön, als würden wir fliegen. Ich versuche mich zu entspannen und den Gedanken zu verdrängen, dass ich auch irgendwann wieder hier runter muss.
© Tani Schipek 2025-06-23