Wie geht es Ihnen?

Ciri

by Ciri

Story

In der Abenddämmerung eines trüben Oktobertages fahre ich einer Landstraße entlang, meine Hände fest um das Lenkrad geklammert, meine Augen mit ernster Miene auf den grauen Asphalt vor mir fixiert. Ich spüre meinen Herzschlag deutlich, und immer wieder durchfährt mich ein kalter Schauer der Aufregung und Angst. Kurz vor meinem Ziel muss ich kurz stehenbleiben, meine nervöse Blase meldet sich. Ich parke mein Auto an einer Tankstelle, betrete eben jene und frage höflich, aber bestimmt, ob ich die Toilette verwenden dürfte. Die Frau hinter der Kasse reicht mir den Schlüssel. Als ich wieder zurückkomme, kann ich mich nicht zurückhalten und ich kaufe mir eine Packung Zigaretten, um meine Nerven etwas zu beruhigen: “Später!”, sage ich zu mir selbst, als ich die Packung in meine Manteltasche stecke und die Tankstelle wieder verlasse. Ich steige wieder ins Auto und es sind keine 5 Minuten mehr, bis ich mein Ziel erreiche. Der Parkplatz war, vermutlich aufgrund der bereits späteren Stunde, es war kurz vor 18 Uhr, fast leer. Ich betrete das große moderne Gebäude vor mir, der Geruch von Arztpraxen dringt durch meine Maske in meine Nase und meine Augen versuchen zu verstehen, wo sich mein Ziel befindet. Mein Herz springt erneut, als ich den Namen meiner Ärztin auf einem kleinen Schild lese: “Dr. Stefanie Gruber, Psychiaterin” und ich gehe in den ersten Stock. Ich öffne die Tür zur Praxis, ganz leise, achtsam, dass meine Stiefel ein nicht zu lautes Geräusch von sich geben. Ich sehe keine weiteren Patienten, ich scheine allein zu sein, was mich beruhigt. Zu groß ist meine Angst, dass ich jemanden treffen könnte, den ich kenne, auch wenn sich die Praxis weit genug von meinem Wohnort befindet.

“Ah, guten Abend, Frau Pöschl!”, eine kleine, schlanke Frau, braunes Haar, etwa Ende 30, begrüßt mich und obwohl auch sie, genauso wie ich, eine Maske trägt, kann ich von ihren Augen ablesen, dass sie mich anlächelt. Ich schenke ihr ebenso ein Lächeln und nicke gleichzeitig, damit sie auch versteht, dass ich ihr freundlich gegenübertrete. Sie bittet mich in ihr Arztzimmer. Es ist klein und nur sperrlich eingerichtet. Ein Stuhl ist für sie gedacht, einer für ihre Patienten. In der Mitte steht ein Tisch, ein Buch liegt darauf, ein dicker Wälzer, der dem Titel nach alle Infos über psychische Krankheiten bereithält. Ich schlucke, meine Hände sind kalt und nass, ich reibe sie aneinander, als meine Augen die ihren treffen. Mit der ebenso freundlichen Mine wie vorhin fragt sie mich: “Wie geht es Ihnen, Frau Pöschl?”. Und es ist einer der wenigen Momente, in denen ich froh bin, eine Maske zu tragen, die den Großteil meiner Mimik verdeckt. Ich merke, wie sich meine Augen mit Tränen füllen und ich Mühe habe, ihr zu antworten, ohne dabei meine Stimme zu verlieren: “Nicht so gut.”, antworte ich ihr. Das Ticken der Wanduhr ist plötzlich unglaublich laut in meinen Ohren, nur ihre Stimme gibt mir den Mut weiterzusprechen. Es ist der Beginn der Behandlung meiner Depression.

© Ciri 2022-04-24

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