Wie Hunde Pistazieneis vom Boden schlecken

Emma Rinio

by Emma Rinio

Story

Er war nicht schön, zumindest nicht im klassischen Sinn. Durchschnittlich groß, vielleicht eins achtzig, und schlank auf eine Art, die mehr nach jugendlicher UnbekĂŒmmertheit aussah, als nach Fitnessstudio und Eiweißshakes. Seine Nase ragte etwas zu markant ĂŒber sein Gesicht, und die Locken fielen unordentlich, als hĂ€tten sie sich gegen jede Richtung entschieden. Aber gerade das mochte ich: das Rohe, Unperfekte, das ihm eine Echtheit verlieh, die sich tief in mir einprĂ€gte. Es war eine dieser Begegnungen, die sich selbst genĂŒgten – die nichts forderten, weil sie in sich vollstĂ€ndig waren. Und genau so eine sollte es sein.

Er saß schrĂ€g gegenĂŒber, zusammen mit einem Freund, dessen Augen wie warmer Karamell in der Sonne glĂ€nzten. Sein dunkelbraunes Haar fiel ihm launenhaft in wilden Locken ins Gesicht, ungestĂŒm und frei, als wollte es in unangestrengter Leichtigkeit möglichst wenig von ihm verbergen. Darunter lagen grĂŒnblaue Augen, wie ein Morgen am Meer: traurig, doch voller Leichtigkeit, eingerahmt von dunklen Brauen, die seinem Blick eine sanfte HĂ€rte verliehen.

Er blieb mir stets zugewandt, ganz selbstverstĂ€ndlich. Ohne DrĂ€ngen. Ohne Absicht. Im Gegenteil. Er lud mich wortlos ein, ohne Forderung, ohne Verlangen. Einfach nur, indem er sich mir so selbstverstĂ€ndlich entgegen wandte, wie Knospen den ersten Sonnenstrahlen im FrĂŒhling. Das ĂŒberraschte mich, weil Menschen, die mich ansehen, meist etwas von mir wollten. Doch sein Interesse lag nicht in Fragen oder Worten, sondern allein darin, wie er mich betrachtete: offen, neugierig, ohne Anspruch auf BestĂ€tigung. Sein Blick streifte mich mit einer Neugier, die nicht forderte, sondern sich still nĂ€hrte. Wie Hunde Pistazieneis vom Boden schlecken: still, sehnsĂŒchtig, voller Unschuld und mit einer merkwĂŒrdigen, sanften Gier. Er schien alles wissen zu wollen, ohne etwas zu fragen. Vielleicht war das die schönste Art, jemandem zu begegnen: nicht durch Dinge, die wir voneinander erfahren, sondern durch das Geheimnis, das wir ineinander vermuteten.
Und dieses leise, selbstverstĂ€ndliche Interesse war es, das mich so anzog. In allem, wie er dort saß, lag etwas ZurĂŒckgelehntes. Eine faszinierend gelassene Art, das Leben vorbeiziehen zu lassen, ohne es festhalten zu wollen.

Ab und zu versanken sie in einem GesprĂ€ch – in einer Sprache, die seltsam vertraut klang und doch vollkommen fremd blieb. Zwischen ihren Worten gab es keine lauten Stimmen, kein wildes Gestikulieren. Nur leise Worte, getragen von lebensbejahender Energie, die das Zugabteil wie nebenbei um seine sorgfĂ€ltig kultivierte Stille ergĂ€nzten. Und er, mit seiner rohen Aura und der wachen Ruhe in seinem Blick, sah mich still wissend an, als könnte er etwas in mir sehen, das mir selbst verborgen blieb.

© Emma Rinio 2025-05-11

Genres
Novels & Stories
Moods
Unbeschwert