Wie Schwarzindien zu seinem Namen kam

ReginaW. Egger

by ReginaW. Egger

Story

Es ist einer jener lauen Sommerabende, an denen selbst die Stallfliegen vom benachbarten Bauernhof langsam sind. Wir sitzen auf der Bank vor dem Försterhaus, essen Speckbrot und lehnen uns an die sonnenwarmen HolzstÀmme. Onkel Cecil ist nach einem Krug eiskalten Apfelmost voll in Fahrt.

„Ick haben gesagt: ‘Hey folks, I’m taking my annual trip to India!’”

Der Onkel lacht und sein Gesicht schaut aus wie die rote Wasserbombe, die wir auf die asphaltierte Einfahrt haben plumpsen lassen. Gleich wird er platzen.

„India, you understand? Und Harry haben gefragt: ‚I thought you were going to Austria!’”

Der Onkel prustet los und spuckt dabei Brotbrösel aus. Tante Edna und Mutter lachen anstandshalber mit. Kusine Scarlett verdreht die Augen und Anton furzt leise.

Dann beginnt Vater die alte Geschichte zu erzĂ€hlen, die ich sicher schon hundertmal gehört habe, von der ich aber nicht genug kriegen kann. Weil sie von Freiheit handelt, von Anarchie, vom Königreich fĂŒr junge Leute, und von der Gewitztheit der Einheimischen.

Er erzÀhlt die Geschichte von Schwarzindien.

„Hier am Mondsee gab es Ende des 19. Jahrhunderts schon Sommerfrischler. Richtige Bleichgesichter waren das. Und der hiesige Doktor, ein naturverbundener Mensch, der verschrieb ihnen Sonnenbadekuren im Freibad. Zehn Minuten fĂŒr den RĂŒcken, zehn fĂŒrs Gesicht, und zehn fĂŒr die Beine. Da gab es sogar einen, der hat mit der Glocke gelĂ€utet, wenn sich die SommergĂ€ste umdrehen sollten. Sehr zum GelĂ€chter der Einheimischen, denn die waren braun wie Kaffee, richtige Naturburschen waren das. Aber die Sommerfrischler fĂŒhlten sich von den Einheimischen gestört und vertrieben sie aus dem Freibad. Und weil sie so sonnenverbrannt waren, schimpften sie sie Schwarzindianer. Aber die Einheimischen waren nicht blöd, die suchten sich ein schattiges Platzerl beim Auwald und ihr neues Refugium nannten sie Schwarzindien. Zum Trotz, weil sie von den Sommerfrischlern so verspottet worden waren. Es gibt sogar eine GrĂŒndungsurkunde vom 11. August 1879.“

Der Vater hat jetzt rote Wangen, er genießt es, Publikum zu haben. Er ist der Experte fĂŒr Schwarzindien.

„Aber damit nicht genug! Ein findiger Kaufmann aus der Gegend, der Weyringer, der hat den Namen aufgegriffen und dort eine Jausenstation errichtet. Er hat auch allerhand kuriose Geschichten ĂŒber Schwarzindien und die Schwarzindianer verbreitet und sogar eine Ortstafel aufgestellt. Als dann spĂ€ter die Salzkammergutlokalbahn gebaut wurde und man die Trasse durch St. Lorenz fĂŒhrte, da hat man einen Namen fĂŒr die Haltestelle gesucht. Da bestand der Weyringer darauf, dass die Haltestelle Schwarzindien heißen mĂŒsse. So bekam der Name als Ortsteil von St. Lorenz also offiziellen Charakter. Und seither gibt es nicht nur Westindien und Ostindien und Hinterindien
“ Jetzt stimmen wir im Chor mit ein: „Sondern auch Schwarzindien und das liegt, wie jeder weiß, in Österreich!“

© ReginaW. Egger 2021-08-28

Hashtags