Wiedersehen mit Hansi

Tini Hecke

by Tini Hecke

Story

VerblĂĽfft und etwas ratlos betrachte ich die unreifen MarillenstĂĽcke am Boden, hebe sie auf und bestaune sie. „Seltsam. Sehr seltsam!”, murmle ich vor mich hin, blicke hoch in den Marillenbaum und inspiziere wiederholt die Wiese, die voller MarillenstĂĽcke ist. Wie eine Karikatur meiner selbst umrunde ich mehrmals bedächtig den Baum, trotz geringer Erwartung eine sinnvolle Erklärung fĂĽr diese seltsame Begebenheit zu finden. Und kurz bevor ich mich mit dem Unerklärlichen abfinde, höre ich ein eigenartiges Geräusch. „Grccht, Grccht … Grccht, Grccht” Ăśberrascht starre ich in die dichte Baumkrone. „Grccht, Grccht” Nichts zu sehen. Aber doch ist eins gewiss: Das Geräusch kommt aus dem Baum. Da. Ein MarillenstĂĽck prallt unerwartet gegen meine Stirn und springt fröhlich ins Gras. Und dann hab’ ich ihn. Den Ăśbeltäter. Unbeirrbar in seinem Ehrgeiz schabt das Eichhörnchen auf dem Marillenkern herum, den es geschickt mit den vorderen FĂĽĂźchen hält. Hektisch nagt es am Kern, macht eine Pause, nagt weiter. Mit einem unhörbaren Hurra entwendet das Vieh die innere Mandel und pfeffert die leere HĂĽlle vom Baum, die zwischen Grashalmen und MarillenstĂĽcken verschwindet. Und in diesem Moment hält es inne. Pause. Es wendet zackig sein kleines Köpfchen. Der Dieb hat mich entdeckt. Mit fieser Schadenfreue fixiert mich der kleine Nager. Ausdruckslos starren mich seine schwarzen Punktaugen an. In flagranti erwischt hat es nicht viel zu seiner Verteidigung zu sagen. Aber der rotbraune Schlawiner zeigt nicht den Hauch eines schlechten Gewissens. Ganz im Gegenteil. Nachdem er mich ausreichend – sprich 3 Sekunden – gemustert hat, verliert er schnell das Interesse an mir. Eine Frechheit! Er schnappt sich einfach die nächste unreife Marille und legt wieder los.

„Hansi! Hansi! Haaansii”, hat die Tante im Augarten immer gerufen, wenn sie die dunkelbraunen Eichhörnchen, in den 70er gab es noch keine orangenen, anlocken wollte. „Na, wo is der Haansi? Ja schau, da kommt da schon. Ja Hansi, komm. Ja, was Gutes”, lautete das Tanten-Mantra. Und gemeinsam mit dem Bruder habe ich mitgeholfen, das Eichhörnchen zu verführen: „Haansii, Haannsii, Nussi, willst Nussi?” Und erstaunlicherweise ist der Hansi fast jedes Mal gekommen und hat sich sein Nussi geholt. Es hat dann doch ein Zeiterl gedauert, bis mir klar wurde, dass es mehrere Hansis gab.

„Süß sind sie ja”, denke ich schon etwas milder gestimmt. „Dieser buschige Schwanz”, nun schon merklich begeistert. „Hach, diese niedlichen Öhrchen mit den Büscheln oben drauf” und schon hat das Vieh auch moralisch gewonnen. Zack! Das nächste Marillenstück fetzt in die Wiese. „Na, das wird schmecken”, motiviere ich das Tierchen bei seiner Arbeit, das mich mittlerweile völlig ignoriert. „Grccht, Grccht” Verzückt betrachte ich dieses kleine Naturwunder. Der Genuss ist nur von kurzer Dauer, Hansi schnappt sich seine Beute und entkommt über den Apfelbaum in Nachbars Garten.

© Tini Hecke 2021-04-01