Als ich in die Mädchen-Hauptschule Kufstein ging, schlug das Bundesministerium für Unterricht den Schulen für die Schüler der vierten Klasse eine Wienwoche vor. Unsere damalige Lehrerin, Frau Maria Toplitsch, die selbst gerne Camping-Reisen unternahm, war von diesem Vorschlag begeistert und nahm Kontakt mit dem Ministerium auf.
Frau Toplitsch wurde später Direktorin der Hauptschule Kufstein und ist heute 93 Jahre alt, geistig noch topfit, aber seit ca. 2 Jahren lässt ihre Sehkraft nach.
Wir fuhren mit dem Zug von Kufstein nach Wien. Es war für die zwei Lehrerinnen Traudl Arnold und Maria Toplitsch eine große Verantwortung, uns 36 Mädchen durch Wien zu führen, sie mussten darauf achten, dass wir immer alle geschlossen unterwegs waren und zusammen in die diversen Beförderungsmittel (meistens Tram) einstiegen. Die U-Bahn, die Donauinsel und das Hundertwasserhaus gab es noch nicht. Pünktlich marschierten wir morgens los und erreichten problemlos die einzelnen Stationen unseres Aufenthaltes. Wir besichtigten alle Sehenswürdigkeiten, inklusive der Flaktürme und fuhren eine Woche lang kreuz und quer durch Wien.
In der Spanischen Hofreitschule bestaunte ich die Lipizzaner, die nach der Musik tanzten. Wir schauten von der Tribüne aus zu. Ich wollte mich fast nicht von dem majestätischen Auftritt der Pferde trennen und brauchte eine Extraaufforderung von Frau Toplitsch, endlich zu gehen. Ich schaute sie mit großen Augen an und sagte: “Ich hätte nicht gedacht, dass ein Pferd so gut nach dem Takt tanzen kann. Unsere Pferde würden das nie erlernen können.”
Wir hatten schon erfahren, dass wir in die Oper gehen durften und ein schönes Festkleid benötigten. Meine Mutter hatte für mich ein wunderschönes dunkelblaues, eng anliegendes Wollkleid mit einem leicht ausgestellten Rock von einer Bekannten ausleihen dürfen, das ich ganz stolz ausgeführt habe. Wir besuchten die Oper „Madame Butterfly“. Die ganze Klasse saß nah beisammen. Nur ich hatte junge Burschen als Sitznachbarn. Meine langen Haare trug ich hinten offen, aber vorne leicht nach oben zusammengefasst. Frisur und Kleid standen mir gut, was offensichtlich auch meinem Sitznachbarn angenehm auffiel. Jedenfalls sprach er mich an und es entwickelte sich ein nettes, ganz harmloses Gespräch. Als das Frau Toplitsch bemerkte, schaute sie mich zuerst nur mit einem bösen Blick an. Als wir noch etwas sprachen, verlangte sie, dass ich mit einer Mitschülerin Platz tauschte, der dann untersagt wurde, mit den Burschen zu kommunizieren. Jedenfalls hat Frau Toplitsch ihre Aufgabe als Erzieherin ernst genommen und auf ihre Schülerinnen gut aufgepasst.
Zu meinem 60. Geburtstag lud ich auch Frau Toplitsch ein. Sie brachte mir als Geschenk ein großes Fotoalbum, Pralinen und ein kleines weißes Porzellanpferd mit, weil mir die Lipizzaner in der Spanischen Hofreitschule so gut gefallen hatten. Die Lehrerin hatte meine Freude an den tanzenden Lipizzanern nie vergessen.
© Elisabeth Hechenbichler, geborene Hetzenauer 2022-10-21