Wilde Rosen

Ulrike Puckmayr-Pfeifer

by Ulrike Puckmayr-Pfeifer

Story

Erinnerungsschwere Bilder lassen mich in den Morgen gleiten.

Der Himmel ist so blau, dass es fast schmerzt. Ein Lockruf, nach draußen zu gehen, vorbei an den schön gepflegten Gärten der Nachbarn, deren üppiges Grün Hoffnung pur ausstrahlt.

Ich sehe sie gerne, die fremden Gärten. Manchmal ist ein verwilderter dabei, tief versunken in einem Dornröschenschlaf. Dieser berührt mich besonders, regt meine Fantasie an, bringt mich zum Träumen, erinnert mich an meinen Garten, den ich einst hatte.

Ich habe ihn verwildern lassen. Ein fast undurchdringliches Dickicht an Sträuchern, Bäumchen, Pflanzen, gewachsen in vielen Jahren, unberührt von menschlichen Eingriffen, ganz sich selbst überlassen seiner ungebremsten Naturgewalt. Er hat sich den Menschen verweigert, wollte ungestört wachsen und sich entfalten. Wollte kein Gift an sich heranlassen, dem Unkraut genau so viel Raum geben wie den sogenannten Nutz- und Kulturpflanzen.

Wilde Rosen sind gewachsen. Den Weg haben sie mir versperrt, als ich einmal doch, von Neugier getrieben, in das Innere des Gartens vordringen wollte. Die Stacheln haben sich in meine Haut gebohrt, sie aufgerissen und zum Bluten gebracht. Trotz der Schmerzen bin ich weitergegangen, von einer unbestimmten Sehnsucht getrieben, als wäre ich einem Geheimnis auf der Spur.

Fasziniert von den wilden Rosen, die in ihrer unbändigen Lebenskraft einen Großteil des Gartens in Besitz genommen haben, gehe ich weiter und weiter. Jeder Schritt mühsam erkämpft. Das Gestrüpp wird immer undurchdringlicher. Die wilden Rosen wehren sich mit ihren spitzen Stacheln gegen mein Eindringen in ihre eigene, von Menschenhand unberührte Welt. Sie heißen mich nicht willkommen, verwehren mir den Eintritt, wollen weiter ungestört wachsen und sich ausbreiten. Sie berühren mich, die wilden Rosen. Ich berühre sie. Eine schmerzliche Begegnung und doch schön. So nah an der Ursprünglichkeit des Lebens. Ein ehrfürchtiger Schauer durchströmt mich. Die wilden Rosen sprechen mit mir in ihrer Sprache. Schmerzlich machen sie mir bewusst, dass sie leben wollen. Einfach so, wie sie sind. In ihrer Wildheit und ungezügelten Leidenschaft. Mein Garten gibt ihnen Raum. Ich übergebe meinen Garten den wilden Rosen und lasse sie einfach sein. Sie gefallen mir in ihrer Stärke und Kraft. Der Duft, den sie verströmen, verzaubert mich, betäubt mich fast und lässt mich eintauchen in eine andere Welt, von der ich schon immer eine Ahnung hatte, die mich aber jetzt mit einer unglaublichen Intensität erfasst und mich hineinzieht in einen wilden Strudel an Gedanken, Gefühlen und Bildern, denen ich mich kaum entziehen kann.

Noch wehre ich mich dagegen, ganz in diese fremde neue Welt einzutauchen. Noch will ich zurück in die Welt der genormten Realität, der zurechtgestutzten Wirklichkeit, des betreuten Denkens. Noch macht mir diese rohe Naturgewalt Angst. Die Botschaft der wilden Rosen nehme ich mit und lasse sie tief in meiner Seele weiter blühen.

© Ulrike Puckmayr-Pfeifer 2021-04-24

Hashtags