Willkommen im Wiener Arbeitsleben

Nina Burian

by Nina Burian

Story

2015: Ehrfürchtig schaue ich mich um. Hier, in der österreichischen Nationalbibliothek ist die Geschichte Österreichs im wahrsten Sinne des Wortes konserviert. Und hier soll ich also die nächsten zwei Jahre arbeiten.

Es ist mein erster Job nach dem Buchwissenschaftsstudium. Vier Jahre habe ich an der LMU in München studiert, aber mir war immer klar, irgendwann gehe ich wieder nach Wien. Denn Wien ist nicht nur meine Heimat, Wien ist meine Zukunft. Wien ist liebstes Beisl, mein charmantes Grätzl, meine Märchenstadt am Donaustrand.

Frau M., meine neue Chefin, holt mich vom Eingang am Josefsplatz ab. Ich folge ihr durch unzählige verwinkelte Gänge. “Irgendwann werden’S sich die Wege merken.” meint Frau M. fröhlich über die Schulter. Ich lächele verunsichert zurück und knete heimlich meine Finger. Wie es wohl sein wird, hier zu arbeiten? Eines ist mir klar, es wird auf jeden Fall anders, als bei meinen Jobs in Deutschland. Das Arbeiten in München war zwar nett und hat mir Spaß gemacht, aber München war halt nicht Wien. Vor allem das typisch wienerische hat mir beim Arbeiten gefehlt. Das ‘Schau ma mal’, wenn man nicht direkt nein sagen oder sich festlegen möchte. Das ‘paasst’, auch wenns nicht passt, man aber drauf scheißen mag. Das ‘Oida’, das universell als Platzhalter für jegliche Gefühlsregung eingesetzt werden kann. Die kreativen Wiener Schimpfwörter wie Schastrommel oder Eierbär. Und das ‘Oasch’, das Wetter, Körperteil, Beleidigung oder Antwort auf alles sein kann.

Seit Monaten war ich nun wieder in der Stadt und weil mein Studium exotisch und der Buchmarkt in Wien klein ist, war es schwierig für mich einen passenden Job zu finden. Als ich dann die Ausschreibung der ÖNB sah, war ich wie elektrisiert. Geschichte, Bücher und eine österreichische Institution? Ich MUSSTE dort arbeiten. Mein Herz schlägt im dreiviertel Takt.

Einerseits bin ich freudig aufgeregt und gleichzeitig habe ich Angst, dass meine Vorstellungen nicht der Realität entsprechen werden. Was, wenn es in Wien im “richtigen Arbeitsleben” eher zugeknöpft zugeht?

Frau M. und ich betreten die Abteilung. Ich lege den Kopf in den Nacken und staune. Der Raum ist bestimmt 5 Meter hoch und insgesamt bestimmt 100 qm2 groß! Etwa halb so große Raumtrenner teilen alles in mehrere geräumige Kojen. Das bietet den Mitarbeitern zwar Sichtschutz, aber man kann trotzdem alles hören, was in der Abteilung passiert.

Als mir Frau M. meinen Schreibtisch zeigt, schallt es plötzlich aus der Nachbarkoje: “HEAST, SO EIN GESCHISSANA SCHAS! I HAU DEN HUAT DRAUF, DES GEHT SCHO WIEDA NED! OASCH ELENDIGER!!” Frau M. schaut mich peinlich berührt an und versucht mit lauter Stimme das Gefluche zu übertönen. Ich verkneife mir mein Grinsen. Herrlich diese Sprache! Da prescht der zeternde Herr um die Ecke, sieht mich und bleibt am Ansatz stehen. Er strahlt mich an:”Serwas! Du bist die Neue? Willkommen!” er schüttelt begeistert meine Hand. Ich bin in meinem Wien angekommen.

© Nina Burian 2020-08-10

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