by Nanja_Sommer
In seinen letzten Wochen vor seinem Tod hatte mein Vater meine Mutter gehasst und sie ihn. Dies war mit Sicherheit zum Großteil seiner Erkrankung geschuldet, die ihn verwirrt und hilflos zurückließ.
In jenen Tagen konnte ich ihn nur schwer erreichen, bangte permanent darum, dass er leblos in seiner Ein-Zimmer-Wohnung auf dem Boden lag und ihn keiner fand. Doch gerade in diesen Tagen schienen die Gedanken meiner Mutter verrückt zu spielen, nicht etwa aus Sorge um meinen sterbenden Vater, sondern aus Angst. Eine Angst, die ich nicht recht greifen konnte und die mir gänzlich unlogisch, gar grotesk, vorkam. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass er sie umbringen wollte. Sie war fest davon überzeugt, dass er ihr auflauerte und sie ermorden würde. Natürlich etwas, das nie passiert war. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob diese verrückten Gedanken ihren Schuldgefühlen entsprungen waren oder aber eine Rechtfertigung ihres Verhaltens sein sollten. Eine logische Erklärung dafür, warum sie ihren Mann nach zwanzig Jahren Ehe aus dem Reihenhaus geschmissen und ihm die Hälfte aller Wertsachen abgenommen hatte. Dass er zu dem Zeitpunkt kaum noch Nahrung in sich behalten konnte und Blut spuckte, ignorierte sie, wie gewöhnlich, geflissentlich. Dennoch hoffte sie auf sein Erbe. Und das, wie ich sagen musste, nicht zu Unrecht. Jedoch hatte mein Vater noch einige Wochen vor seinem Tod meine Mutter instruiert, mir den Großteil des Erbes zu überlassen. Er wünschte sich, dass ich abgesichert war, dass ich mir ein eigenständiges Leben aufbauen konnte. Sogar den Porsche, den meine Mutter ihm zum Geburtstag geschenkt hatte (natürlich war dies schon einige Jahre her), wollte er mir vermachen. Erst war mir nicht bewusst, warum gerade ich sein ganzes Vermögen erben sollte, doch später fand ich heraus, dass er etwas wusste, das ich nicht wusste. Meine Psychotherapeutenmutter war spielsüchtig. Eine absurde Kombination, das war mir bewusst. Noch seltsamer war, welcher Art von Spielsucht sie verfallen war. Sie war besessen von Online-Casinospielen, bei denen man unechtes Geld gewinnen konnte, doch um weiter spielen zu können, hatte man nur eine gewisse Anzahl von Zügen, die man natürlich mit echtem Geld kaufen konnte. Im Grunde konnte man nur verlieren. Reales Geld zu gewinnen gab es keines. Ich wusste nie, wie schlimm es wirklich war; wir hatten genug Geld, dass sie mehrere tausend Euro hätte problemlos verspielen können. Von außen betrachtet eigentlich ein trauriger Umstand. Den Porsche behielt sie für sich, ich sollte ihn bekommen, wenn sie irgendwann nicht mehr sein sollte. Von den sechsundvierzig-tausend Euro, die mein Vater zu vererben hatte, sind laut meiner Mutter nur circa zwanzigtausend Euro, aufgrund der Erbschaftssteuer, ausgezahlt worden. Davon wiederum brauchte sie achttausend Euro für die Beerdigung und die restlichen zweitausend Euro für Schulden, offene Rechnungen und die Miete, die mein Vater noch nach seinem Ableben offen hatte. Das machte unterm Strich zehntausend Euro, die sie mir auf mein Konto überwies.
Nach einigen Monaten verschwand das Geld, und ich bereute zum ersten Mal, dass sie Zugriff auf mein Konto hatte. Hätte sie mich gefragt, hätte ich ihr das Geld vielleicht geliehen.
© Nanja_Sommer 2024-08-21