Das Gerücht um das Wettrennen verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter dem Eiffelturm. Kokou gegen Usain, 21 Uhr auf dem Champs de Mars. Der schnellste Mann unter dem Eiffelturm, gegen den schnellsten Mann der Welt. Wetten wurden abgegeben. Ein dicker Senegalese wettete sieben Zigaretten auf Kokou. Er hatte ihn rennen sehen und konnte sich keinen schnelleren Mann vorstellen. Ein kleinerer Mann mit Rastas und Schnauzbart verwettete fast sein ganzes Geld auf den unbekannten Großen. Ein Anderer mit Glatze und Sonnenbrille rannte überall herum und wollte die Schuhe der Läufer begutachten, bevor er seinen Tipp abgab. Manche hatten Bier und Snacks dabei, als würde sie ein spannender Kinofilm erwarten. Wieder ein Anderer, ein Mann, den Kokou noch nie gesehen hatte, kam auf ihn zu und meinte, er solle seine Schuhe mit Wachs einreiben. „Schuhwachs, Kerzenwachs geht wohl auch.“ So eine große Aufregung hatte es seit dem königlichen Besuch nicht mehr unter dem Eiffelturm gegeben. Ein alter Mann mit dunkler Haut und grauen Haaren brachte sogar einen Topf Gumbo und verteilte einen Schöpfer davon an jeden der wollte.
Kokou genoss den Anblick dieser bunten Gruppe. Es erinnerte ihn an Zuhause, wenn seine Mutter La Pâte salée gemacht hatte und das halbe Dorf auf der Straße vor ihrem Haus stand, um davon zu kosten. Er war aber auch sehr nervös und hoffte insgeheim, dass diese Gruppe an Menschen sich jeden Donnerstag hier einfanden, um gemeinsam den Feierabend zu genießen. Kokou sah auf seine alten Turnschuhe. Ein Mann, den Kokou schon öfter hier gesehen hatte, hatte ihm sogar seine nagelneuen Sportschuhe angeboten. Aber er rannte immer in seinen alten Schuhen, also auch heute. Er sah, wie Usain durch die Menschen auf ihn zu kam, von Kopf bis Fuß in Sportkleidung gehüllt. Sie begrüßten sich mit Handschlag, wie alte Freunde. „Bereit?“, fragte ihn Usain. Kokou nickte. „Wir starten dort hinten und laufen dann 100 Meter bis ins Ziel.“, erklärte Usain. Er hatte die Rennstrecke bereits mit Stöcken abgesteckt. Gemeinsam gingen sie hinüber zum Start. Dann ging alles ganz schnell. „Ready“, Hände auf den Boden. „Steady“, Hintern hoch „Go!“ Kokou rannte los. Er stellte sich vor, die Polizei würde hinter ihm her radeln. Er schaute nicht zurück, vergaß Usain, vergaß die schreienden Leute um ihn herum. Er überquerte die Ziellinie, ohne es zu merken. Irgendwann blieb er stehen und drehte sich um. Hatte er gewonnen? Er hatte keine Ahnung. Die Leute jubelten und feierten, klopften ihm auf die Schulter. Jemand brachte ihm Wasser, jemand anderes eine Schale Gumbo. Was war passiert?
© Valentina Weiss 2021-08-14