XII. Über Gerechtigkeit und Hochmut

Nick Nabakowski

by Nick Nabakowski

Story
Hochheym

Recht und Unrecht verschwimmen in den Weiten des Kosmos. Wo sich einer fragt, ob er sein Schicksal verdient, befürchtet ein anderer, so etwas existiert gar nicht. Vielleicht ist er auch erleichtert. Dienen die Launen der Natur einem höheren Zweck, oder sind sie nichts weiter als eine Folge von Ereignissen? Fragt nur die Hochmütigen und die Gerechten, ihre Antwort ist grundverschieden. Tsaye war einst eine einfache Frau. Als sie aber eine neue Chance auf ein anderes Leben in einer jungen Welt bekam, wollte sie ein Leuchtfeuer der Exzellenz sein. Ein solches Wesen konnte nur zur Göttin aufsteigen und die Rechtschaffende wart geboren. Bald schon versammelte sie viele unbeirrbare Seelen Hochheyms hinter sich. Eine dieser Seelen war Nayif. Frisch vermählt mit ihrem Gatten Oholost, war sie das Herz und er der Schild. Von dem Moment an als Tsaye sich der Welt präsentierte, war Nayif eine gläubige Anhängerin. Sie folgte dem Kompass der Rechtschaffenheit und trat eine Pilgerreise mit ihrem Geliebten an. Sie arbeiteten dort, wo sie ein Bett beziehen konnten, liebten sich zwischen den Bergen, die sie immer umgaben und halfen jedem der ihre Hilfe benötigte. Der Tag war gekommen. Als die Sonne am höchsten stand, versammelten sich unzählige Pilger im Tal, das stets die größten Schatten warf, denn Tsaye versprach auch dorthin Licht zu bringen. Und so brach das Chaos aus. Tsaye, mit ihrem goldenen Speer, stand in ihrer silbernen Rüstung hoch oben auf dem Berg, der ihr Gesicht tragen würde. Sie hob ihren Arm langsam in die Lüfte, es war als würde sie einen Stern halten, der im Himmel munter funkelte, bevor er in Richtung Erde raste und das Wunder geschehen lassen sollte. Der Berg spaltete sich, Brocken, größer als Minotauren sprengten aus ihrer natürlichen Fassade. Oholost packte seine Frau und zog sie wieder und wieder in Sicherheit, während sich unzählige Gläubige bereitwillig zerquetschen ließen. Ein Ruck durchfuhr seinen Arm und er stoppte, um nach seiner einzigen Liebe zu sehen. Die Erde tat sich zwischen ihnen auf, langsam aber unaufhaltsam. Er hielt sie so fest er konnte. Sie lächelte. Er weinte. Sie löste sich aus seinem Griff. Er fiel ungläubig auf die Knie, als er zusehen musste, wie sie die Arme in den Himmel streckte, um ihrem Schicksal entgegenzutreten. Der Staub legte sich lange nicht. Ein goldener Schimmer umgab die Rechtschaffenden und zog die auserwählten Seelen empor. All der Tod unter ihren Füßen und doch verschüttete keiner eine Träne. Nur einem war keine Genugtuung ins Gesicht geschrieben. Als Tsaye sein Kinn hob, um ihn in ihren Reihen willkommen zu heißen, sah sie Verachtung. Oholost griff nach dem goldenen Speer. Er schrie, als seine Macht ihn durchströmte und der rechtschaffende Zauber durch seine Adern floss. »Dein Glanz mag unsterblich sein, aber auch ein Gott kann fallen – durch meine Hand!« Er musste die Wahrheit sagen. Seine Lungen waren luftleer, obwohl die Welt um ihn herum wehte. Was für Tsaye nicht einmal ein Wimpernschlag war, kam Oholost vor wie eine Ewigkeit. Vom höchsten Berg getreten, entstellt und hochmütig, stürzte der Mann, der glaubte einen Gott zu Fall bringen zu können, seinem eigenen Tod entgegen. Die Erde bebte zu diesem Tage ein zweites Mal und seither wachte der Dämon Oholost in seinem schattigen Grab über Tsayes Speer und verführte jedes Wesen, dumm genug hochmütig der Göttyr zu trotzen.

© Nick Nabakowski 2025-02-07

Genres
Science Fiction & Fantasy
Moods
Abenteuerlich, Reflektierend, Traurig
Hashtags