Zimmer mit Ausblick

Tanja Spangl

by Tanja Spangl

Story

Ich checke ein im 6. Stock einer Wiener Klinik und sehe den Kahlenberg aus meinem Fenster. Was fĂŒr ein Ausblick, wĂ€re der Anlass nur ein erfreulicherer.

WĂ€hrend einer Pandemie in einem Krankenhaus hat man viel Zeit fĂŒr sich. Es sind keine Besucher erlaubt und man darf die Station nur mit Mundschutz verlassen. GrĂŒnde um mich in die Leseecke meines Zimmers zurĂŒckzuziehen und ein Buch zu beginnen. Aus einem Buch werden zwei. Aus dem Fenster schauen, die Gedanken baumeln lassen, wird zu einem “wie viele ZĂŒge kommen hier eigentlich im Minutentakt an”? ZĂ€hlen. Die ach so herbei gesehnte ICH Zeit schnell zu einer Qual. Kann ich wirklich nichts mehr mit mir alleine anfangen.

Ich versuche jeden nur erdenklichen “Strohhalm der Kommunikation” zu ergreifen und verwickle jede Schwester, Arzt in ein GesprĂ€ch. Dennoch enden diese in nur wenigen Minuten und ich bin wieder allein mit mir, der S-Bahn und meinen Gedanken.

Wie wird es mir morgen gehen?

Werden die Schmerzen ertrÀglich sein?

Wann komme ich hier raus und ja, ich kann bereits die verschiedenen ZĂŒge am Quietschen, wenn sie in die Station ein oder abfahren, erkennen.

Langeweile ist die Chance etwas Kreatives zu machen, erwidere ich jedes mal unserem Sohn, wenn er meint ihm ist fad. Langeweile bin ich nicht mehr gewohnt. Alles dreht sich sehr schnell und man ist mitten drin. Wer will schon aussteigen im Karussell Leben, es scheint doch bunt und perfekt.

Der Zug nach Bernhardsthal fĂ€hrt ab und die Nachtschwester teilt mir mit, das sie gleich einen Zugang fĂŒr die OP morgen legen wird. Gleich ist 4 Stunden spĂ€ter, weit nach Mitternacht und ich werde aus dem Schlaf gerissen. Das selbe Spektakel gegen 5 Uhr frĂŒh, Fieber messen und um 7Uhr werde ich bereits Richtung OP abgeholt. Schlaf wird im Krankenhaus eindeutig ĂŒberbewertet.

Ich befinde mich in einem Raum mit vielen Betten und Patienten, Knie-OP, Herz-OP und ich. Die Menschen sind tĂŒrkis, blau und grĂŒn gekleidet, schwer zu unterscheiden, wer ein Arzt, ein Pfleger, eine Schwester oder ein „TrĂ€ger“ ist. Ich lerne meinen AnĂ€sthesisten kennen und das war das Letzte woran ich mich erinnere. Danach kĂ€mpfe ich in der Matrix, gegen schwarze RiesenbĂ€lle, die auf mich zufliegen. Ich wache immer wieder dazwischen auf, nicht wirklich, nur so verschlafen, jemand fragt ob ich Schmerzen habe, ja habe ich. Dann wache ich wieder auf, ich will was sagen, fragen was los ist, doch ich schlafe gleich weiter. Plötzlich spĂŒre ich eine warme Hand auf meiner eiskalten. Unter normalen UmstĂ€nden nichts Außergewöhnliches, aber seit mittlerweile einer gefĂŒhlten Ewigkeit berĂŒhrt man keine Fremden mehr, gibt man niemanden die Hand. “Es ist alles gut”, ich erkenne die vertraute Stimme meines Arztes, “machen Sie die Augen zu, wir kĂŒmmern uns um Sie.” Er drĂŒckt meine Hand ganz fest und ich erkenne ein LĂ€cheln unter seiner Maske. Ich schlafe wieder ein und wache auf, als die S-Bahn nach Floridsdorf die Station verlĂ€sst.

Ich bin retour in meinem Zimmer mit Ausblick

© Tanja Spangl 2020-08-26