by Effi-Lind
Zitronen verlangen ein gleichmäßiges Klima, um zu gedeihen, genau wie die gemeine Hauskresse. Mit Zitronen konnte ein Mann wie Simon nichts anfangen. Selbst wenn Zitronensaft Kraft seines Vitaminreichtums den Ausbruch von Skorbut verhindert, wie ein schottischer Arzt 1747 herausfand.
Aber seine Freundin aß gerne gelben Zitronenkuchen. Er erinnert sie an die Sonne und an ihre Kindheit, die sie in ihren Tagträumen am Strand von Spanien verbracht hat, wo sie sogar bis nach Afrika sehen konnte, während ihr kleiner Bruder Vater und Mutter zerstreute. Wenn sie davon träumte, fragte sie sich manchmal, wie Zitronenblüten riechen. Bis heute hatte sie nicht gehört, dass sie einen fauligen Duft verströmen.
Simon kannte sie aus der Kirche, wo sie einmal Hand in Hand mit einem blonden Herrn aus dem Beichtstuhl gekommen war. Diesen Kasten nutzte Simon, um über die Vergangenheit nachzusinnen. Als er sein Versteck besetzt vorfand, verlor es für ihn den Reiz des Geheimen. Das grinsende Mädchen nistete sich in seinen Gedanken ein, er erkannte in ihr eine Bewohnerin derselben Straße in seiner Kleinstadt.
Er sprach sie nicht an, denn er bevorzugte es, die Distanz zu ihr vorsichtig zu verringern und sie vorerst in sein Blickfeld einzugliedern. Das heißt, sie nachmittags und abends zu beobachten, wenn sie das hellrosa Haus verließ. Er positionierte seinen Lehnstuhl vor dem Fenster und starrte auf die Straße, die sie meist erst um ein Uhr nachmittags das erste Mal betrat. In dem Bewusstsein, dass er am Morgen keinen Happen ihres Lebens versäumte, röstete er sich gemächlich eine Scheibe Toast in der Pfanne, die er auf einem Pappteller servierte und an seinem weißen Plastiktisch verzehrte. Danach verschlang ihn die sauerste Zeit des Tages, das Mittagsloch, das erst endete, wenn sie in einem reizenden Kleidchen vor der Tür erschien und den Gehweg entlang tänzelte bis zur Bushaltestelle.
Simon zerstreute sich, indem er seine Kresse goss, sie wuchs bereits so hoch, dass die Blätter sich gelb verfärbten, aber er dachte nicht daran, etwas abzuschneiden, was noch Lebenskraft in sich trug und in alten Kochbüchern seiner Frau las. Ihre Vorliebe galt der östlichen Küche und vor allem den Zitrusfrüchten. Simon erinnerte sich, wie sie über fast alles Zitronensaft gepresst hatte. Zu der Zeit, wo er eigentlich Kuchen essen sollte, überwältigte ihn die Geschmackserinnerung an den Gugelhupf seiner Mutter und so setzte er sich hin, einen Brief an sie zu schreiben. Nach wenigen Zeilen brach er ab und legte den Zettel auf einen Stapel, wo er alle Briefversuche sammelte, denn er warf nicht gerne etwas weg, das ihn Mühe gekostet hatte. Irgendwann würde er sie schon noch zu Ende schreiben.
Sobald die Straßenlaterne vor dem Haus leuchtete, begann für Simon die anregendste Zeit des Tages. Sie stellte sich jeden Abend unter die Laterne, um neue Menschen kennenzulernen. Wie die Flügel eines Falters flatterte ihr Kleid im gelben Schein der Lampe.
© Effi-Lind 2021-08-14