Sie waren Psychologen, Philosophen und Philologen. Sie kamen aus guten Familien und sie glaubten an den Sozialismus. * âAls MfS-Offizier hat man auch in der Familie FĂŒhrungsaufgaben.â * âDas Wesentliche im Universum ist nicht das Organische, sondern die Informationâ. Heiner MĂŒller
Inge zitiert Sartre: âSollte der Kommunismus sich als unmöglich erweisen, ist das Menschheitsprojekt im Ganzen nicht interessanter als ein Ameisenstaat.â
Inge zĂ€hlte zu den âjungen Falkenâ. So bezeichnete man im PolitbĂŒro die Töchter und Söhne der GlĂ€ubigen; jener, die fĂŒr ihre Ăberzeugungen im Kampf gegen die Nazis Schwerstes auf sich genommen hatten. In der Ikonografie der Nomenklatura breiteten die Falken geschwisterlich die Schwingen (ihre HoffnungsĂŒberschĂŒsse) aus. Die hauptamtliche Stasi-Mitarbeiterin, leidenschaftliche Tschekistin und promovierte Psychologin Inge Schneider unterwandert gemeinsam mit ihrem (echten) Ehemann Klaus, genannt âNicoâ, die Pankower Kunst- und Kulturszene. Das Ehepaar I. und K. Schneider, wohnhaft in der DimitroffstraĂe, unterhĂ€lt einen der exklusivsten Ostberliner Salons. Die nachfolgende Szene spielt am KĂŒchentisch der Schneiders. In der Hauptrolle sehen Sie Heiner MĂŒller, wie er knarzt und qualmt. Inge zieht Heiner an ein Fenster, sie redet ĂŒber Beaumarchais. Beaumarchaisâ Figaro hatte seine UrauffĂŒhrung 1783 als Privatveranstaltung mit dreihundert GĂ€sten. Nach Sainte-Beuve âklatschten sie dem Beifall, was sie zugrunde richteteâ. Das entspricht dem Schicksal des Kapitalismus: Inge und Heiner ist das klar, beide stehen auf der richtigen Seite der Geschichte. Soweit es die Spirituosen betrifft, sind Schneiders besser sortiert als manche Bar am Alexanderplatz. Heiner registriert einen Vorrat Magnum-Formate im Schlafzimmer. Wein, Whisky, Sekt in 2.5 l Flaschen. Nicos âWerkstattâ als FlĂŒsterkneipe fĂŒr die Hauptstadtelite. Nico als Wirt eines DDR-Happy-Few-Speakeasy. Inge und Nico Schneider, die Ehe besteht dem Vernehmen nach einvernehmlich nur noch auf dem Papier. Man versteht sich ausgezeichnet, Nico hat auf dem Sofa ĂŒbernachtet. GerĂ€dert und verkatert richtet er den FrĂŒhstĂŒckstisch, Inge kommt im Bademantel aus dem Schlafzimmer. Nico nimmt sie besitzergreifend in die Arme, sie lĂ€sst sich das nicht nur gefallen. Die Szene reduziert Heiner, gerade geht es nicht um Literatur und um die vorbildliche politische Einstellung einer westdeutschen Sozialistin namens Erika. Inge schmiegt sich an Nico. In einem Augenblick verliert der Gatte die Beherrschung, die Maske fĂ€llt, der Anspruch gibt sich zu erkennen. Alles hat einen doppelten Boden, und Nico ein BĂŒro in Hohenschönhausen. Hohenschönhausen war ursprĂŒnglich eine GroĂkĂŒche. Man findet das GefĂ€ngnis auf keinem Stadtplan. In seiner Umgebung residiert Markus Wolfs Computer-Abteilung, die realsozialistische Version von Qâs Labor experimentiert da. Im kriminaltechnischen Institut des Ministeriums fĂŒr Staatssicherheit in der GenslerstraĂe 13 verbaut man fĂŒr EntfĂŒhrungsaktionen schalldichte Zellen in Westfabrikaten. Quartiermacher fĂŒr die Staatssicherheit der DDR war das NKGB. Nico ist Psychologe und Offizier, WaffentrĂ€ger und Spitzenverdiener. 2600 Ostmark pro Monat.
© Jamal Tuschick 2024-06-28