Zwischen uns zwei Songs

Die Musik wird nochmal hochgedreht, ich spüre den Bass, der den Boden unter meinen Füßen zum beben bringt. Es läuft ein neuer Song, es ist Torn von Natalie Imbruglia, meine beste Freundin sagt, sie geht noch eine weitere Runde Bier holen und bevor auch nur ein einziges Wort sagen kann, ist sie verschwunden.

Dann steht er vor mir und schenkt mir dieses schiefes Lächeln, bei dem mein Herz jedes Mal wie wild beginnt zu pochen. Mit uns ist es nichts Neues. Es ist wie eine stumme Verabredung, jedes Jahr im Sommer gehören wir nur einander. Oft habe ich es Monate lang kaum erwarten können, wollte den Herbst, den Winter und schließlich den Frühling nur hinter mich bringen, um in seinen Armen liegen zu können. Ich wollte mein Leben hergeben für die zwei Wochen in denen ich endlich wieder ihm gehörte.

Doch als er seine Hand nach mir ausstreckt, um mich an der Taille näher an sich heranzuziehen, sträubt sich etwas in mir gegen seine Berührung. Vor meinem inneren Auge zucken blitzartig Bilder vorbei von Szenarien, in denen ich alleine auf dem Badezimmerboden liege und weine, in denen ich mein Handy kaum aus der Hand legen kann, weil ich vergeblich auf seine Nachricht warte. In Dauerschleife laufen Telefonate in meinem Gedächtnis ab, ich höre seine Stimme, die mir wiederholt erzählt, wie er auf Partys andere Mädchen geküsst hat und fühle physisch den Schmerz, den ich jedes einzelne Mal empfunden habe, auch wenn wir nie wirklich zusammen waren. Ich denke an die Nächte, in denen ich nicht hatte schlafen können, weil mich der Gedanke quälte, dass er mich im nächsten Sommer nicht mehr wollen könnte.

Ich spüre, wie sich seine Hand an meine Hüfte legt und schrecke aus meiner Trance hoch. Lautstark entweicht mir der Atem und ich straffte meine Schultern, als ich den Gedanken endlich zu greifen bekomme – Ich will das nicht mehr, will mich nicht mehr so fühlen, will nicht mehr warten. Ich werde nicht mehr warten.

Voller Liebe sehe ich ihn an, als ich seine Hand von meiner Seite löse. Kurz halte ich sie fest, dann lasse ich sie schließlich los. Ich recke mein Kinn und sehe ihm fest in die Augen. Meine Mundwinkel ziehen sich leicht in die Höhe, ich muss grinsen. In seinen Augen spiegeln sich Überraschung und Verwirrung, dann Verständnis und schließlich wird sein Blick weich und er lächelt mich an. Kaum merklich nickt mir und gibt mir zu verstehen, dass er es begreift und akzeptiert. Ich habe mich für mich entschieden. Langsam fangen wir wieder an uns zu bewegen, ich passe mich dem Rhythmus des Songs an und verliere mich sofort in den Klängen. Dieses Mal halten wir Abstand und ich fühle mich zum ersten Mal unendlich frei und unbeschwert.

Ich drehe mich um die eigene Achse und als ich die Augen wieder öffne, steht meine beste Freundin vor mir und hält mir ein randvolles Glas Bier vor das Gesicht. Ich strahle sie an und sie strahlt zurück. Die letzten Töne des Songs verklingen und ein neues Lied tönt aus den Lautsprechern. Es ist Strong Enough von Cher.