Zwischenwelt Pt.2

Dominik Schodl

by Dominik Schodl

Story

Ich habe so was schon oft gesehen, Menschen wollen uns festhalten, um uns zu begutachten. Mein Verdacht bestätigt sich noch mehr, als ich dann das immer größer werdende, angestrengt schauende Auge eines Menschen sehe. Der Typ ist sichtlich fasziniert von mir und an sich ist das in Ordnung, aber Junge, komm schon: Ich habe wo zu sein! Ich fühle mich unwohl und beobachtet, in meiner Privatsphäre gestört, also tue ich es diesem Menschen gleich – ich schaue ihn mir ebenfalls ganz genau an. So weit ich das erkennen kann, ist es ein noch nicht sehr großer Mensch mit kurzen Haaren, Latzhose und einem Rucksack auf dem Rücken. So wie ich das sehe, bin ich älter als der aufdringliche Mensch, also hat der Respekt vor mir zu haben! Ich fliege ein paar Mal wuchtig gegen die Glasseite, von der er mich beobachtet, als würde ich bei ihm zu Hause anklopfen, um zu signalisieren: „HALLO KLEINER TROTTEL! ICH HAB’S EILIG, MACH DAS GLAS WEG!” So ganz scheint er mich nicht verstanden zu haben, denn anstatt das Glas zu entfernen, schiebt der Idiot ein Stück Papier herum und blockiert somit den Ausgang. Im Oberstübchen dieses Jungen scheint es nicht besonders hell zu leuchten, was glaubt er bitte, wie ich jetzt fliegen soll? Dann höre ich ihn sagen:

„Schön! Mama, ich nehm den mit, darf ich? Ich nenne ihn Boris!” So heiße ich aber nicht du idiotisches Menschenkind! Nun kann ich auch die Mutter des einfältigen Trottels sehen – sie zuckt gleichgültig mit den Schultern, „Mach das. Vergiss aber nicht den Schmetterling später wieder freizulassen.”

SPÄTER WIEDER? Ist das deren Ernst? Wenn ich Lust hätte, mir die geschmacklich bescheidene Bude von Familie Freiheitsentzug anzusehen, dann hätte ich mich selbst eingeladen. Der Klatschmohn blüht und die Junikäfer drehen durch, es ist höchste Zeit am Weg zu Tante Conny zu sein! Das ist wirklich sehr nervig, ich werde mich total verspäten. Aber ich habe keine Wahl, der Ausgang ist versperrt und jeder Versuch der Flucht schlägt leider fehl, da das blöde Kind es tatsächlich schafft, mit den speckigen Fingern das Papier ruhig zu halten. Beleidigt setze ich mich auf eine der Glaswände. Die Mauer war mir lieber. Es vergehen viele nervlich zermürbende Minuten, bis wir endlich im Haus ankommen. So schnell ihn seine Stelzen tragen können, läuft der dumme Junge in den ersten Stock des Hauses in sein Zimmer. Es ist unordentlich und riecht nach Schildkröte, diese kann ich dann auch sehen. Der Bengel hat also noch mehr Tiere in Gefangenschaft. Arme Schildkröte, auf ewig dazu verdammt sich das intelligenzverminderte Gesicht dieses Jungen anzuschauen. Schildkröten leben so lange, er wird diesen kleinen Wicht also sicherlich überdauern. Armer Kerl. Aber zurück zu meiner Leidensgeschichte, mein gläsernes Gefängnis wird abgestellt. Er platziert mich auf seinen Schreibtisch, wo er bestimmt seine schlecht benoteten Hausarbeiten schreibt.

„OK, Boris danke, dass du hier bist! Ich werde dich nun genau studieren und alles aufschreiben.”

© Dominik Schodl 2022-08-21