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Es fremdelt

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Es fremdelt | story.one

Es war schwarz und versetzte sie in Angst und Schrecken.

In Schrecken, weil es plötzlich da war. Und genauso plötzlich wieder weg. Und wieder da. (Wie J. H., von dem man nie wusste, wann und wo und mit welcher Ansage er wieder erscheinen würde. Bis er endgültig weg war und die Sonne vom Himmel fiel.) So plötzlich und so schnell, dass ihr der Atem stockte, das Blut in die Wangen schoss und das Herz in der Kehle klopfte.

In Angst, weil sie von diesem Subjekt nichts wusste. Nur was ihr so zugetragen worden war. Man hört ja allerlei, wozu diese Eindringlinge fähig sind. Wo sie sich überall durchschwindeln, kein Schlupfloch zu klein. Ehe man sich’s versieht, hausen sie überall, vertreiben die Einheimischen, zerstören deren Lebensart. Zwängen ihnen ihre Regeln auf, errichten ihre eigenen Tempel. Schneller als man raus! sagen kann, sind sie überall und lassen sich nicht mehr in ihre Heimatgefilde zurückscheuchen. Dem musste Einhalt geboten werden, den Anfängen gewehrt. Dieses fremde Wesen hatte zu verschwinden.

Was es auch tat. Es tauchte ab. Floh über die Grenze oder versteckte sich im Untergrund – nichts Genaues wusste man nicht. Das beunruhigte. Welchen subversiven Aktivitäten würde es sich hingeben, welche Umsturzpläne würde es verfolgen, welche Schäden anrichten, die nie mehr zu beheben sein würden?

Eine Weile verfolgte Spürnase seine Fährte, wurde aber nicht fündig. Und dann war es plötzlich wieder da. Aber. War es wirklich dasselbe Geschöpf? Oder war es Familiennachzug? In dem Fall gute Nacht, Abendland! Die Ängstliche sah sich mit einer Invasion konfrontiert, von diesen Fremden unterwandert, ihrer Kultur beraubt. Die sollen kruzifixnoamal dort bleiben, wo sie hingehören!

Also entschied sich die rechtmäßig hier Wohnende, das ungebetene, unerwünschte, unliebsame Subjekt einzusperren, um Rückführungsmöglichkeiten zu überlegen. Während sie die Zelle für die Schubhaft richtete, zeigte es sich, das fremde Schwarze. Es schien ein anderes Schwarz zu haben als das der Vorwoche. Es tappte in die Falle und wurde in seine Heimat zurückgeführt.

Und kam wieder. Oder doch ein anderes? Dieses schien kleiner zu sein und frecher als die beiden vorher. Und das Schwarz war eindeutig grau, wenn nicht sogar hellgrau. Schnüffelnase bezog Posten und beobachtete. Ja, sie unterschieden sich deutlich. Einmal war eines sportlich begabt und schwang sich in der Dipladenia von Liane zu Liane. Eines zeigte sich klug, ein anderes eitel. Es putzte sich in aller Seelenruhe, zeigte schlaue Äuglein und putzige Pfötchen.

Anscheinend war jedes sein eigenes Individuum. Anscheinend hatte keines vor, Zerstörung anzurichten oder das Sagen haben zu wollen. Keines biss, kratzte, schlug Vampirzähne in menschliche Adern oder wuchs sich zum Monster aus. Wie das mit dem Fremden eben so ist. Schaut man genau hin, hört sich das Fremdeln auf.

© Christine Mayr 2022-09-13

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