Applaus

Karl saß bei Premieren hinten. Das Stück interessierte ihn nicht mehr. Er hatte es in den letzten Wochen unzählige Male gesehen.

Karls Aufmerksamkeit lag beim Publikum. Das zählte jetzt. In der Dunkelheit versuchte er den Menschen ihre Stimmung von den Hinterköpfen abzulesen. Unruhiges Zappeln, häufige Wechsel der Sitzposition, Jugendliche, die sich ihr Handy unter das Shirt steckten und den Kragen über die Augen zogen, um das Licht des Displays zu dämpfen: Alles interpretierbar.

Heute war eine besondere Premiere. Die Schauspieler taten ihm leid. Er hatte sie für sein Vorhaben opfern müssen. Seine Hände schwitzten. So aufgeregt war er seit seiner ersten Inszenierung nicht mehr gewesen.

Karl war schon lange in diesem Beruf. Er hatte etliche Stücke inszeniert. Die meisten schrieb er selbst. Auch das Heutige stammte aus seiner Feder. In all den Jahren war die Kritik positiv ausgefallen.

Kein Wort war öfter verwendet worden, um seine Stücke zu beschreiben, als ‚gut‘. Karl lächelte.

Heute würde es anders sein. Er hatte genug von diesem ständigen, emotionslosen, langweiligen, nichts sagendem ‚gut‘. Heute war es endlich Zeit für den lang ersehnten Kontrast. Vor ihm auf der Bühne lief das schlechteste Stück, das Karl jemals geschrieben hatte. Das Tempo elendig langsam, die Figuren uninteressant und die Handlung ereignislos und vorhersehbar. Die Schauspieler bemühten sich. Seine strenge Inszenierung ließ ihnen wenig Spielraum.

Sie mussten es hassen. Er glaubte die Anzeichen bereits sehen zu können. Wie sie in ihren durchgesessenen Stühlen unbequem hin und her rutschten oder unauffällig ihre Armbanduhren ins eigene Blickfeld rückten.

Die Stille überraschte ihn. Karl war so in Gedanken gewesen, dass er den letzten Satz des Stückes gar nicht bemerkt hatte. Er lauschte. Er hatte eines dieser Enden gewählt, wo das Publikum nicht wusste, ob es vorbei war. Wo sie gemeinsam in dieser unangenehmen, geräuschlosen, angespannten Unsicherheit saßen, bis einer den Mut aufbrachte, in seine Hände zu klatschen und alle erleichtert einfielen. Lange passierte nichts.

Dann brach tosender Beifall aus.