Tränen der Befreiung
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Manche Erlebnisse im Leben möchte ich besonders würdigen. Auch um mich später besser daran zu erinnern.
Wie andere ein Tagebuch führen, gestalte ich seit einigen Jahren eine Fotodokumentation über mein Leben. Von wertvollen Erlebnissen und Begegnungen drucke ich ein Foto aus. Diese Fotos ordne ich chronologisch in Fotoalben. Damit erhalte ich einen Überblick zu meinen schönsten Erlebnissen und ich kann zu jedem Foto eine Story erzählen.
Ich bin immer wieder überrascht, wie viel Schönes und Wertvolles ich in kurzer Zeit erlebe. In meinem Alltagsbewusstsein geht das öfters verloren. Doch wenn ich ein Album zur Hand nehme und durchblättere, verändert sich mein emotionaler Blickwinkel ins Positive. Eine tiefe Dankbarkeit erfüllt mich.
An einem nebeligen Freitag im Oktober war es wieder einmal so weit. Ich zog Bilanz – diesmal ohne Fotos. Ich dachte an die schönsten Erlebnisse meines Lebens, an das, was ich als Mosaiksteine der Ewigkeit empfinde. Liebgewordene Personen und tiefe Eindrücke meldeten sich direkt aus meinem Herzen. Ich war intensiv berührt und spürte so etwas wie die Präsenz kosmischer Liebe, ein dankerfülltes Angenommensein, gepaart mit innerem Frieden, der keinen Wunsch offen lässt. Das Erlebnis war umfassender, als ich es von eigenen Liebeserfahrungen kenne. Selbst heute kann ich diese Erfahrung abrufen, als ob es gestern gewesen wäre.
Gleichzeitig stieg ein Schmerz in mir hoch, der mich überwältigte. Ich brach in einen Weinkrampf aus, der mich etwa zwei Minuten lang aus ganzem Herzen weinen ließ. Mir kam es vor, als hätte sich ein Strom gebildet, der all die emotionalen Verletzungen und Zurückweisungen meines bisherigen Lebens hinwegschwemmte wie ein Papierschiffchen auf hoher See.
Jetzt fühle ich die Ruhe nach dem Sturm. Bin etwas matt. Eine vertrauensvolle Gelassenheit, Dankbarkeit und freudige Erwartung begleiten mich bei den nächsten Schritten. Ich habe mein Inneres verändert, Ballast abgeworfen. Eine neue Ebene liegt vor mir, getaucht in warmes Sonnenlicht, heilende Impulse begleiten mich.
Foto Aliyah Jamous / Unsplash
© Karl Ebinger 2020-10-23
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