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#kindheit#vater#sohn

Die immer gleiche Geschichte

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Die immer gleiche Geschichte | story.one

Niemand konnte so spannende Geschichten erzählen wie mein Vater. Sonntags, nach dem Frühstück, war die beste Zeit ihn zu fragen: "Bitte Papa erzähl doch die Geschichte, wo du klein warst." Er erzählte immer dieselbe Erinnerung aus seiner Kindheit:

"Ich war damals ein kleiner Bub, so wie du jetzt. Wir waren sieben Kinder. Ich war der Jüngste. Mein Papa starb schon, als ich eineinhalb Jahre alt war. Mit Mama wohnten wir in einem kleinen alten Haus am Waldrand.

Wir hatten eine Kuh, ein Schwein, einen kleinen Gemüsegarten und drei Obstbäume. Von dem konnten wir recht und schlecht leben.

Mit der Kuh mussten alle Kinder abwechselnd, zwei Stunden am Vormittag und zwei Stunden am Nachmittag, entlang des Feldweges weiden gehen. Die Bauern gestatteten nämlich den armen Keuschlern (so nannte man jene, die ein kleines Haus hatten mit wenig Weidegrund), dass sie 50 cm links und rechts an den Wegen ihrer Felder das Gras abweiden durften.

Einmal erlebte ich einen Fliegerangriff der Amerikaner. Es war ja damals Krieg. Ich erinnere mich noch genau. Ich musste für meine Mama im Nachbarort was besorgen. Für den Rückweg wählte ich eine Abkürzung über ein freies Feld.

Plötzlich hörte ich hinter mir Flugzeuggeräusche. Ich drehte mich um und erkannte den Jabos Jagdbomber, der auf alles schoss was sich bewegte. Ich lief so schnell ich konnte. Vergebens.

Ich stolperte und fiel zu Boden. In diesem Moment war das Flugzeug auch schon da und flog ganz knapp über meinen Kopf weiter. Schoss aber nicht. Ich war voller Freude, stand wieder auf und ging weiter heimwärts.

Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Denn der Jabos-Flieger machte eine Schleife und kam wieder, ganz tief, von hinten auf mich zu. Ich erschrak zu Tode. Mein Herz raste. Ich ging einfach geradeaus weiter und kümmerte mich nicht mehr um den Kampfflieger.

Und so geschah es, dass das Flugzeug zum zweiten Mal knapp über meinen Kopf hinwegflog und nicht auf mich schoss. Erleichtert und glücklich rannte ich schnell nach Hause.

Ich erzählte es meiner Mama, die nur den Kopf schüttelte. Ja, der liebe Gott schenkte mir damals ein zweites Mal mein Leben.

Ich habe später oft darüber nachgedacht, warum der Jabos nicht auf mich schoss. Vielleicht sah er, dass ich noch ein kleiner Junge war und Gott hat ihn gelenkt."

© Kurt Mikula 2019-07-26

Kriegs- und NachkriegszeitOma, erzähl mal von früher!

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