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Ein Wolf! Stell dich tot!

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Ein Wolf! Stell dich tot! | story.one

Wir waren verdammt müde und wollten nur schlafen. Esther und ich kamen mit der Bahn um 22.00 Uhr am Bahnhof in Orange/Frankreich an. Zimmer hatten wir keines vorbestellt. Das ging ja damals nicht so einfach und Geld hatten wir auch keines für so einen Luxus. Mit unseren Tramperrucksäcken gingen wir in die Dunkelheit einfach drauflos. Irgendwann wollten unsere Füsse nicht mehr. Wir legten uns mit unseren Schlafsäcken irgendwo zwischen ein paar Stauden, direkt neben der Landstraße. Am Morgen erwachten wir, mitten im Tomatenfeld.

Unser Ziel war der Fluss Ardèche, der in Südfrankreich in den Regionen Auvergne-Rhône-Alpes und Okzitanien verläuft. Da wollten wir Kanu fahren. Wir entschieden uns, die dreißig Kilometer durch das Naturschutzgebiet bis zum Ausgangspunkt der Tour, am Fluss entlangzugehen.

Es gab keinen ausgeschilderten Wanderweg. Wir orientierten uns am Flussverlauf und gingen querfeldein durch den Urwald. Eine Übernachtung im Schlafsack ohne Zelt hatten wir eingeplant. In der Dämmerung suchten wir einen guten Platz mitten im Wald und ließen uns von der Stille und der Müdigkeit in den Schlaf wiegen. Mitten, irgendwann in der Nacht erwachte ich. Stockfinster. Ich hörte ein Hecheln, ein heftiges Schnaufen. Direkt neben mir. Keinen Meter entfernt. Ich dachte, das muss ein wildes Tier sein. Ein Wolf! Was sonst, in dieser einsamen Wildnis? Kilometerweit gab es kein Haus, keine Siedlung, keine Menschen. Ich blieb erstarrt liegen. Mein Herz raste. Meine Halsschlagader pulsierte wie verrückt.

Plötzlich schnellte Esther unerwartet mit einem Ruck in Sitzposition. Ich flüsterte: „Stell dich sofort tot!“ Ich hatte mal gelesen, dass wilde Tiere in eine Beißhemmung verfallen, wenn sich das Opfer wehrlos zeigt und die Gurgel entgegenhält. Irgendwann hat sich das Hecheln verzogen. An Schlaf war jedoch nicht mehr zu denken.

Am nächsten Morgen kamen wir zum Startplatz unserer Kanutour. Wir waren nicht allein. Da war schon eine ganze Traube von Menschen, die auch die wilde Kanufahrt genießen wollten. Wir starteten gleich los. Esther vorne mit dem Einhandpaddel, ich dahinter. Wie bei Winnetou. Nach einer halben Stunde im Zickzackkurs, hatten wir den ersten Kilometer geschafft.

Ein Pensionistenpaar überholte uns mit einem Lächeln. Irgendwas machten wir falsch. „Gleichmäßiger“, fauchte ich Esther an. „Du bist doch der Pfadfinder. Ich dachte, du kannst das!“, fauchte sie zurück. Ich kochte. Das war unsere erste Vorehekrise. Kurz vor unserem Ziel begegneten wir auch wieder dem Pensionistenpaar. Wir paddelten, was das Zeug hergab, überholten sie und kamen glatt als Erste ins Ziel. Wir umarmten uns.

Mittlerweile sind Esther und ich schon 36 Jahre Seite an Seite. Ich glaube, heute würden wir die Kanufahrt ohne Krise schaffen. Oder wir nehmen gleich ein Elektroboot ;).

© Kurt Mikula 2019-07-23

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