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#tod#krebs#corona

Friedhofsbesuch der anderen Art

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Friedhofsbesuch der anderen Art | story.one

Wir wussten jetzt also Bescheid. Meine Mutter würde demnächst sterben. Sie trug es mit Fassung. Mein Vater mit Unverständnis - wenn sie nur wieder eine Chemotherapie machen würde, dann wäre alles gut. Ich versuchte so gut wie möglich, meine Mutter in ihrem Wunsch, keine Therapie mehr zu machen und zu Hause sterben zu können, zu unterstützen. An guten Tagen konnte sie in den nahegelegenen Wald gehen. An schlechten Tagen ums Haus oder auch nur auf's WC. Ich war da. 'Wie geht es Dir heute?' fragte ich. Ich hatte die Hoffnung, dass es doch noch gut ausgehen konnte, nicht aufgegeben. Sie überlegte länger und sagte dann: 'Eigentlich ganz gut. Ich habe durchgeschlafen. Ich habe meinen Kaffee bei mir behalten und heute noch kein Sauerstoffgerät gebraucht. Ich konnte alleine auf's WC gehen und sogar eine Runde im Garten drehen. Ich saß in der Herbstsonne! Jetzt wünsche ich mir eigentlich nur noch, dass ich noch einmal den Schnee sehen kann!' Ich bewunderte sie jeden Tag - sie wusste, dass es zu Ende ging und war einfach nur da und präsent. 'Ich habe heute eine ganz besondere Bitte an Dich' sagte sie zu mir. 'Ah, welche denn?' fragte ich. 'Ich möchte nicht am Zentralfriedhof begraben werden, der ist mir zu groß und zu weit weg. Ich hätte gerne mein Grab am Liesinger Friedhof. Da ich aber nicht mehr fit genug bin, um mir mein Grab selber auszusuchen, möchte ich, dass Du das für mich machst. Ist das für Dich möglich?' sie sah mich fragend an. Was sollte ich antworten? Ich sollte für meine Mutter ein Grab aussuchen! Ich antwortete: 'Natürlich mach' ich das für Dich. Was wünscht Du Dir?' 'Ich möchte einen Platz mit viel Sonne und einem Baum, alles andere ist mir egal.' 'Na dann -ich werde fahren!' sagte ich schweren Herzens. Und so habe ich für meine Mutter einen schönen Platz am Liesinger Friedhof ausgesucht. Es war schon sehr unwirklich, das zu tun. Aber es musste getan werden - welche Wahl hatte ich denn? Ich machte ein Foto vom Platz und ließ den Film rasch entwickeln - und hoffte, dass meine Mutter noch so lange leben würde, um zumindest das Foto über den Platz ihrer letzten Ruhestätte noch zu sehen. Als ich vom Friedhof heimkam, saß meine Mutter schon wartend im Wohnzimmer. 'Und? Hast Du einen Sonnenplatz für mich gefunden?' fragte sie. 'Ja!' antwortete ich mit Tränen in den Augen. 'Du weinst zu viel, das ist nicht gut für Dich. Trauer und Tränen sind wichtig. Aber es gibt auch anderes. Du wirst mich nicht verlieren! Solange Du Dich an mich erinnerst, werde ich in Dir weiter leben. Wir haben genug geweint. Und das mit dem Friedhof können wir jetzt abhaken. Kannst Du mir noch die Sauerstoffflasche zum Bett stellen? Danke!' sagte sie, als wäre sie die Ruhe selbst. Und wieder meine Frage an meine Mutter - was bedeutet die Coronakrise? Sie sagte: 'Wenn Dein Leben erfüllt ist, ist jeder Tag ein guter Tag, um zu sterben. Ob mit oder ohne Corona. Achte auf das, was Dir Dein Herz sagt.'

Meine Mutter starb am 13.11.1985 mit 55 Jahren. Todesursache: Lungenversagen durch Lungenkrebs

© Michaela Schmitz 2020-05-06

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