Gute Zeiten schlechte Zeiten
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Es fühlte sich an wie damals, als sie nacheinander Dinge aus den Regalen nahm und am Boden gruppierte. Viele der Möbel waren schon weg, sie hatte sie bereits verkaufen können. Ihr Sohn war aus dem Ausland gekommen und hatte ihr dabei geholfen. Er hatte vielversprechende Fotos von den Dingen gemacht und sie dann online gestellt. Mira hätte es wohl auch selbst gekonnt, aber sie wollte nicht. Sie wollte ihn hier haben, und sei es nur für eine kurze Zeit. Um zu helfen. Und es half ihr tatsächlich. Mehr als er vielleicht ahnte.
Inzwischen war er wieder weg, zurück zu seiner Familie und zur Arbeit. Nicht ohne ihr anzubieten, wiederzukommen. Mira wickelte Gläser und Geschirr in Zeitungspapier, um es vor dem Zerbrechen zu schützen. Sie teilte die Bücher auf mehrere Kartons auf, damit nicht einer zu schwer wurde. Sie sortierte aus, was sie nicht mitnehmen wollte. Diese Schachtel füllte sich am schnellsten.
Es fühlte sich an wie damals, als Mira die Kappe vom dicken schwarzen Filzstift nahm, um die Kartons zu beschriften. Der scharfe Geruch stieg ihr in die Nase wie damals, es schien als hätte sich die Rezeptur der Tinte nicht verändert.
Doch alles hatte sich verändert. Alles. Damals, da waren sie zusammengezogen. Mira und Jan, das junge Paar. Der Aufbruch. In einen neuen Abschnitt, ein neues Leben. Ein gutes Leben, wie sie heute weiß. Damals hatten sie nur ihre Träume gehabt und alles hatte sich so gut und richtig angefühlt. Heute zog sie aus, kein Paar mehr, nicht einmal ein halbes. Jan war weg. Er würde auch nicht wieder kommen. Sie war allein. Das Haus zu groß. Und zu schwer. Überall Erinnerungen.
Mira ließ sich auf eine Stuhlkante gleiten, sah sich um und sagte immer wieder zu sich selbst ´Es fühlt sich an wie damals‘. Sie hielt an dem Gedanken fest, hielt fest an dem Gefühl des Glücks, der Leichtigkeit, welches auch von damals war, ausgeliehen für den Moment, das Heute.
Mit einem Lächeln im Gesicht fuhr sie fort mit Falten, Wickeln, Packen. Anders hätte sie das alles nicht ausgehalten. Sie konnte ihn immer noch riechen.
Irgendwann würde sie wieder zurückkehren müssen. In die nahezu unerträgliche Realität. Aber für den Moment …. Alles wie damals.
© SofieHugs 2023-02-04
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