von Steffi Somnitz
Ich weiß nicht, wo ich war. Nur, dass ich aufwachte mit einem goldenen Faden in der Hand.
Vielleicht habe ich ihn mir eingebildet. Vielleicht habe ich ihn mitgebracht aus einem Traum, der mehr war als nur Nachtgedanke.
Es begann in jenem Schwebezustand zwischen Schlaf und Wachen. Ich schwebte durch Nebel, der mehr nach Erinnerung roch als nach Wasser. Kein Weg, kein Horizont, nur Licht, das sich bewegte, als würde es atmen. Es war still, aber nicht leer. Eher so, als würde etwas Großes gleich beginnen.
Ich fand mich in einem Feld aus Nebel wieder. Kein Weg, kein Horizont, nur Licht, das sich bewegte, als würde es atmen.
Dann sah ich sie: eine alte Frau in einem Schaukelstuhl, der auf nichts stand. Der Himmel über ihr war durchsichtig, darunter spannte sich nichts und doch war alles da. Sie webte. In einem Rahmen aus Wind spannte sie Fäden aus Licht, Schatten, Lachen, Stille. Ihre Hände führten die Fäden mit einer Selbstverständlichkeit, die mich frösteln ließ. Ich hatte das Gefühl, einen Moment zu stören, der nie für mich bestimmt war, und doch wartete er auf mich.
„Das ist das Morgen“, sagte sie, ohne mich anzusehen.
„Ich nähe es, aus dem, was ihr zurücklasst in euren Träumen.“ Ich setzte mich. Ich fühlte mich plötzlich müde, nicht vom Schlaf, sondern vom Denken. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich setzte mich auf einen flachen Stein, der aussah, wie aus Mondstaub gehauen. Meine Gedanken waren stiller als sonst, als hätte jemand den Lärm in meinem Kopf heruntergedreht.
„Was ist, wenn niemand mehr an das Morgen glaubt?“ Sie sah mich zum ersten Mal an. Ihre Augen hatten Farben, die ich nicht benennen konnte. Ich sah auf das Gewebe, das unter ihren Händen entstand. Da war ein Ort, den ich nie besucht hatte, aber liebte. Ein Duft, der mich an etwas erinnerte, das nie wirklich geschehen war. Und eine Stimme, die ich kannte, obwohl ich sie nie gehört hatte.
„Dann wird es dünn. Dann flattert es. Aber es reißt nicht. Hoffnung hat Geduld.“ Ich verstand nicht alles, aber ich hörte ihr zu.
„Manche Tage sind grob gewebt“, sagte sie.
„Sie kratzen ein bisschen. Andere sind fein, kaum spürbar. Und wieder andere … sind mit Gold durchzogen, obwohl ihr sie gar nicht erkennt.“
Ich fragte, ob ich ihr helfen könne. Sie lachte.
„Du hilfst schon, indem du weitergehst.“ Dann gab sie mir einen goldenen Faden.
„Trag ihn bei dir. Nicht als Beweis, sondern als Erinnerung.“
Ich schloss die Finger um ihn, so fest ich konnte, nicht aus Angst, ihn zu verlieren, sondern in dem Wissen, dass ich ihn einmal brauchen würde.
Der Traum war noch nicht ganz gegangen, als ich die Augen öffnete. Und der Morgen, er fühlte sich an, als könnte er neu beginnen.
© Steffi Somnitz 2025-07-29