Die Küchentür

von Fabian Ganauser

Story

Schädelbrummend erwache ich. Wo bin ich? Wer bin ich? Warum bin ich nackt? Und wer ist diese hübsche, nackte Frau neben mir? So viele Fragen, und keine Antworten.

„Guten Morgen, Fabian“, haucht sie mir zart ins Ohr und fragt, ob ich einen Kaffee wolle. Verdammt! Sie kann sich an meinen Namen erinnern. Ich habe keine Ahnung mehr, wie sie heißt. Ich will ihre Frage nach Kaffee eigentlich bejahen, komme aber nicht dazu. Denn plötzlich läutet es an der Tür.

„Das ist mein Freund!“, ruft die Unbekannte erschrocken aus.

„Du hast einen Freund?“, frage ich entsetzt. Sie antwortet nicht und weist mich stattdessen hektisch an, ich solle meine Kleidung vom Schlafzimmerboden aufsammeln. Mein Gehirn ist mittlerweile wach genug, um den Ernst der Lage zu erkennen. Ich tue, wie mir geheißen, haste nach Boxershorts, Jeans und T-Shirt und verstecke mich in der Küche. Hinter mir sperre ich die Tür ab.

Ihr Freund betritt die Wohnung. Durch die Küchentür kann ich seine Stimme hören. Sie begrüßen sich, sie küssen sich. Dann fragt er misstrauisch: „Wem gehören denn die Schuhe?“

Scheiße! Ich habe die Schuhe vergessen. Und die Socken auch, stelle ich fest. Während die Unbekannte ihrem Freund draußen irgendeine Lüge auftischt, wo denn die Schuhe herkämen, ziehe ich mir langsam und mucksmäuschenstill mein restliches Gewand an. Nach einer Ewigkeit bin ich fertig und stelle mir die Frage: Wie komme ich jetzt hier weg? Das Vorzimmer, in das die Küchentür führt, ist gleichzeitig das Wohnzimmer. Nachdem die beiden jetzt hörbar vor dem Fernseher sitzen, fällt diese Fluchtrichtung also aus. Nach einigem Grübeln die zündende Idee: das Küchenfenster! Ich öffne es, blicke hinunter in den Hof. Die Wohnung liegt zwar im ersten Stock, also eigentlich zu weit oben. Aber genau unter dem Küchenfenster steht ein geöffneter Müllcontainer, in dem sich bereits etliche Säcke stapeln. Es gibt doch einen Gott! Ich setze mich aufs Fensterbrett, nehme all meinen Mut zusammen und lasse mich fallen.

Halbsanft lande ich im Müllcontainer und gönne mir eine kurze Pause. Genug Adrenalin für einen Morgen. Jetzt aber nichts wie weg. Ich eile aus dem Innenhof auf die Straße. Barfuß, nach Müll stinkend und in Schlangenlinien – wegen des Restalkohols – laufe ich wie ein Irrer durch die Straßen. Mit einer Mischung aus Erstaunen und Erheiterung starren mir die Menschen nach. Irgendwann beschließe ich, dass ich jetzt weit genug entfernt bin. Der Freund meines unbekannten One-Night-Stands wird mich jetzt nicht mehr finden. Falls er mir überhaupt gefolgt sein sollte.

Inzwischen weiß ich auch wieder, wo ich bin. Und, wo das nächste Einkaufszentrum liegt. Dort kaufe ich mir in einem Schuhladen die billigsten Flip-Flops, um nicht barfuß quer durch die Stadt fahren zu müssen.

Zufrieden darüber, dass meine Flucht – wenn auch mit Verlust der Schuhe und Socken – geglückt ist, steige ich in die U-Bahn, als mir schlagartig auffällt: Die Küchentür ist von innen versperrt.

© Fabian Ganauser 2021-06-20

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#ausbruch, #onenightstand, #entkommen