Eine Nacht mit Yoko Ono (1/2)

Manuel Giron

von Manuel Giron

Story
Zurich, Switzerland 2024

Zufälle, so sagt man, gibt es nicht. Seit dem, was ich auf der Aussichtsplattform eines Hochhauses in Tokio erlebt habe, hege ich ernsthafte Zweifel an dieser Aussage. Der Mori-Tower gehört mit seinen 238 Metern Höhe zu den besten Aussichtstürmen der Stadt, und auf der letzten Etage im Anschluss an die Aussichtsplattform befindet sich das Mori Art Museum.

Auf der Plattform stehen Sofas, auf denen die Besucher die Aussicht auf die Stadt hinter den Glasscheiben genießen können. Wenn es das Wetter erlaubt, können sie das atemberaubende Panorama auch draußen von der Aussichtsterrasse aus betrachten. Bei klarer Sicht kann man den Berg Fuji in seiner ganzen Pracht sehen. Was Touristen aus aller Welt besonders am Land der aufgehenden Sonne fasziniert, ist der Kontrast zwischen Tradition und Moderne. Das verwunderliche Gleichgewicht zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist förmlich greifbar, und gleichzeitig schwebt eine Ahnung von Zukunft in der Luft.

Am frühen Abend ging ich auf die Aussichtsterrasse, um einige Bilder von der Abenddämmerung zu schießen. Am Eingang standen einige Besucher, die Selfies von sich machten, andere hatten Ihre Objektive auf den Horizont gerichtet. Stadtnomaden, die Bilder einfingen wie Schmetterlinge; Männer und Frauen aus aller Welt, die sich in den verschiedensten Sprachen unterhielten. Ein menschliches Kaleidoskop.

Nachdem ich die Stadt schon eine Stunde lang fotografiert hatte, beschloss ich, eine Pause einzulegen und es mir in einem der Sessel auf der Terrasse bequem zu machen. Links von mir saß eine Gruppe von Leuten, die lebhaft diskutierten, und dahinter eine Frau, deren Profil, langes schwarzes Haar, schwarze Sonnenbrille und Statur mich sehr an Yoko Ono erinnerten. Oder war sie es vielleicht? Ein Zufall oder pure Einbildung?

Ich war in Japan, der Wiege der Künstlerin und Lebensgefährtin von John Lennon. Alles, was man sich vorstellen kann, ist im Grunde ja möglich. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um den Auslöser zu drücken und dieser japanischen Stadtlandschaft ein Bild von Yoko Ono vor einer eindrucksvollen Dämmerungs-kulisse zu entlocken. Was will man mehr? Ich drückte den Knopf, um das Bild einzufangen, und ließ meiner Fantasie freien Lauf.

Tokio bei Nacht ist außergewöhnlich, und von oben gleicht die Stadt einem Meer von Lichtern. Nahe und ferne Lichter, die von Weitem aussehen wie abtreibende Schiffe. Lichter, die das nächtliche Panorama zum Leben erwecken.



© Manuel Giron 2024-02-06

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Reflektierend
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