Feuerwerk

von Wörter_auf_Papier

Story
Berlin

Berlin, die Stadt, die niemals schläft. Schon gar nicht an diesem letzten Tag des Jahres. Es sind noch mehr als zwei Stunden bis Mitternacht, doch bereits jetzt stimmen sich Einheimische und vor allem die vielen Party-Touristen lautstark auf die lange Nacht ein. Überall knallt und kracht es, um mich herum explodieren Farben. Ein kleines Mädchen starrt mit großen Augen auf die Wunderkerze in ihrer Hand. Ich lächle ihr zu, doch sie sieht nur weiter gebannt auf die sprühenden Funken. 

Normalerweise habe ich kein Problem damit, abends durch Berlin zu laufen. Aber an Silvester ist das nicht ungefährlich, denn neben Feuerwerkskörpern fliegen leider gerne mal ein paar Finger durch die Luft. Menschen! Immer bereit, sich und andere zu verletzen. Zum Glück ist mein Weg nicht mehr weit.

Ein Junge schmeißt einen Böller, eine Frau kreischt auf. Außerhalb meines Sichtfeldes bellt lautstark ein Hund.
Nein, diese Stadt schläft nie und leise ist sie auch nicht. Ich blicke nach links und laufe dann schnell auf den Mittelstreifen der mehrspurigen Straße. Sofort werde ich von ein paar ausgelassenen Menschen umringt. Sie lassen eine Flasche kreisen, bieten mir einen Schluck an.
Lachend winke ich ab. „Sorry, ich muss zur Arbeit“.
Kollektives, mitleidiges Stöhnen.
„Du Arme“, sagt einer von ihnen, ein gut aussehender Mann mit stahlblauen Augen. Er springt auf die Fahrbahn, wo er wild mit den Armen fuchtelt und so zu meinem persönlichen Lotsen wird. Ich bedanke mich, er wirft mir einen Luftkuss zu. Beschwingt gehe ich weiter. Nach wenigen Metern sehe ich bereits das hell erleuchtete Boutique-Hotel, in dem ich heute Nacht arbeite.

Tagsüber bin ich Medizin-Studentin. Doch weil Berlin ein teures Pflaster ist, jobbe ich in manchen Nächten als Night Shift Managerin. Der Titel macht einiges her und klingt nach viel Geld. Er bedeutet allerdings nur, dass ich in der Zeit von 22 bis 6 Uhr die Rezeption besetzt halte. Und nein, es gibt kein Managergehalt. Dennoch ist es leicht verdientes Geld, sofern es einem nichts ausmacht, die ganze Nacht aufzubleiben.
Normalerweise verlaufen die nächtlichen Stunden unspektakulär und die eigentliche Arbeit besteht meist darin, gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Das ist manchmal echt hart. Vor allem, wenn sämtliche Aufgaben erledigt sind und mich selbst ein medizinisches Sachbuch nicht mehr fesseln kann. Aber ich sehe es so: Als künftige Ärztin kann ich mich schon jetzt an die Nachtschichten gewöhnen. Eine Win-win-Situation quasi.

Genug von der Zukunft, in der Gegenwart wartet jemand schon auf die Ablösung.
Ich mache zwei Schritte auf die Glasfront des Hotels zu und die Automatiktür gleitet fast lautlos auseinander. Möge die Nachtschicht beginnen.

© Wörter_auf_Papier 2024-04-02

Genre*
Romane & Erzählungen
Hashtags
Silvester, Hauptstadt