Freundinnen

von Florian Kalenda

Story

Das Schutzblech scheppert, als Lisi das Hollandrad gegen die Wand fallen lässt. Es ist Dienstag. Der hektischste Tag der Woche. Es regnet. Marion berät unterm Dach der Führanlage eine Familie: Vater gelangweilt, Mutter besorgt, Tochter nervös. Der Klassiker. Ein paar Fetzen dringen über den Hof. »Aber nein, Frau Brauksch, ihre Tochter wird nie mit dem Pferd alleingelassen … Selbst im Fall des Falles … Sie müssen sich keinerlei Sorgen machen …« Die üblichen Fragen.

Lisi geht in die Reithalle. Sie grüßt die Mädchen, die ihre allwöchentliche Stunde haben, und nimmt die weiße Stute Pini an die Longe, damit die Reiterin, die Verena, sich auf ihren Sitz konzentrieren kann. »Und jetzt Trab«, sagt Lisi. Nachher führt sie die Pferde aus ihren Boxen, um auszumisten. Schweigend arbeitet sie und überlegt, was sie sagen wird. 

Marion Bachinger ist die Besitzerin des Pferdehofs. Drei Stunden später sitzt sie der verschwitzten Lisi bei einer Tasse Tee gegenüber. »Du hast mich wieder im Stich gelassen. Ich muss mich fragen, warum ich dir achthundert Mark im Monat zahle.« Lisi murmelt etwas von dringender Erledigung und wischt sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir haben eine klare Absprache«, sagt Marion. »An Wochentagen bist du um eins da und hilfst bis sechs. Samstags ab zehn. Ich kann mich nicht auch noch um die Reitstundenmädchen kümmern! Es ist alles zu viel.«

»Nächste Woche ist Robert aus dem Urlaub zurück«, sagt Lisi. »Es kommt nicht wieder vor.« – »Das hast du letzte Woche auch gesagt, und die Woche davor. Ich habe das Gefühl, du meinst, mit mir kannst du es ja machen. Wo wir befreundet sind!«

Das mit der Freundschaft ist nur Gerede, findet Lisi. Marion denkt, dass sie mich mit achthundert Mark abspeisen kann. Weil ich Pferde mag und du zu ihr sagen darf. Dafür soll ich jeden Tag pünktlich sein. »Ich habe den Vinzenz beim Spritzenhaus gesehen«, erzählt sie. »Meinen speziellen Freund, du weißt schon. Weil ich mich gefragt habe, was er da am Mittag allein macht, hab ich ihm ein bisschen hinterherspioniert.« Marion schaut geradezu böse. »Deswegen kommst du eineinhalb Stunden zu spät?« – »Wie vorsichtig der herumgeschlichen ist! Ich glaube, die machen was Kriminelles«, sagt Lisi. »Er hat mich zum Glück nicht gesehen. Ich werde bei Gelegenheit mal nachschauen.« – »Im Feuerwehrhaus?« Also wirklich, Marion ist manchmal schwer von Begriff. Lisi nickt. »Ich habe genau gesehen, in welchem Eck er herumgekramt hat. Aber dann musste ich mich verstecken, weil er zurückgekommen ist. Ich habe ihn dann noch bis zur Eisdiele verfolgt …« – »Während ich hier mit drei Reitschülerinnen, dem Futterlieferanten und der Familie Brauksch allein war«, seufzt Marion. 

Es berührt Lisi. Sie sind doch Freundinnen, wenigstens gewesen. »Weißt du, Marion, achthundert Mark sind halt nicht die Welt«, erklärt sie sanft. »Findest du«, entfährt es Marion. Etwas ruhiger fügt sie hinzu: »Vielleicht kann ich mir auch die achthundert bald nicht mehr leisten.« Sie kramt in der roten Reiterjacke nach einer Zigarette, obwohl sie vor einem Monat mit dem Rauchen aufgehört hat.

© Florian Kalenda 2024-02-22

Genre*
Romane & Erzählungen