Kleine Perfektion

Ich saß gerade auf der Toilette und verrichtete meine Notdurft, als ein metallisches Geräusch meine morgendlichen Gedanken für einen kurzen Moment unterbrach. Bevor ich überlegen konnte, was es sein könnte, klingelte das Telefon. Also zog ich die Toilettenspülung und nahm den Anruf entgegen. Zwei Stunden später ging ich nochmals auf die Toilette und fand auf dem Boden der Kloschüssel eine kleine Mutter. Es stellte sich heraus, dass sie aus Edelstahl war. Das machte mich nachdenklich und ich fragte mich, wie sie wohl dahin gekommen sei.

Es dauerte eine Woche, bis ich das seltsame Geräusch wieder hörte. Diesmal spülte ich sofort, doch zu meinem Erstaunen sah ich auf dem Boden der Kloschüssel eine weitere kleine Schraube aus Edelstahl. In meinem Kopf schrillten die Alarmglocken. Was war hier los? Wie kam es, dass ich wie ein Roboter Schrauben und Muttern verlor? Ich rief im Krankenhaus an und bat um einen Termin, denn ich fürchtete, noch vor meinem Rentenalter, auseinanderzufallen. «Geben Sie mir einen Termin für morgen, oder ich muss einen Automechaniker anrufen!», fuhr ich die Telefonistin verzweifelt an.

«Machen Sie sich keine Sorgen», beruhigte mich der Arzt. «Es ist alles in bester Ordnung. Manche Körperteile sind wie Autoteile: Sie werden lockerer und fallen manchmal ab, aber bei Ihnen gibt es nichts zu befürchten.»

«Was soll das heißen, dass ich nichts zu befürchten habe?», rief ich verblüfft. «Und was ist mit der Schraube und der Mutter, die ich auf der Toilette gefunden habe? Sind die das Produkt meiner Einbildung? Herr Doktor, bitte sagen Sie mir: Bin ich ein Roboter?»

Der Arzt nahm sein Rezeptheft und kritzelte etwas hinein. Er nahm seine Brille ab und putze sie in aller Ruhe. Nachdem er es sich auf seinem braunen Ledersessel bequem gemacht hatte, begann er: «Nun, vor vielen Jahren, wenn ich Ihrer Krankengeschichte in dieser Akte glauben darf, hatten Sie einen sehr schweren Autounfall. Sie gerieten mit großer Geschwindigkeit auf die Gegenfahrbahn und stießen frontal mit einem entgegenkommenden Lastwagen zusammen. Ihr Auto sah aus wie eine Sardinenbüchse, die von einer Straßenwalze plattgedrückt wurde. Wie durch ein Wunder überlebten Sie, verloren aber für mehr als ein Jahr das Bewusstsein und fielen in ein tiefes Koma. Als Sie endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurden, konnten Sie sich weder an den Unfall noch an Ihre Identität erinnern. Gemeinsam mit den Ärzten beschloss Ihre Unfallversicherung, Sie in eine Klinik für unheilbar Kranke einzuweisen. Nun ja, es gab wirklich keine Hoffnung mehr für Sie.

Aber als man die Hoffnung schon aufgegeben hatte, kam die Erinnerung zurück und man merkte, dass etwas nicht stimmte.»

«Die Muttern!», antwortete ich.

«Nein, das war es nicht. Lassen Sie mich bitte fortfahren», antwortete der Arzt.