von Nina Waldkirch
Die Fahrt des Sessellifts hinauf zum Wilden Kaiser ist alles andere als wild – ganz im Gegenteil, etwas Entschleunigenderes habe ich noch nie erlebt. Der Kaiserlift Kufstein ist gut über eine Schnellstraße zu erreichen und beginnt unten im Ort an einem Parkplatz. Um einzusteigen, springt man bei laufender Fahrt auf einen der Einzelsitze auf.
Ich stelle mich vor den nächsten anfahrenden Sessel. Er ist so schmal, dass ich mir den Rucksack vorne auf den Bauch schnallen muss, um hineinzupassen. Mit einem kleinen Sprung lande ich im Sitz, lege den spärlichen Sicherheitsbügel vor und lasse die Füße in der Luft baumeln. Ich höre das Ruckeln des Förderseils und spüre das Hopsen des Sessels, der durch die Zugkraft Fahrt aufnimmt. Langsam entfernt sich die Talstation – und mit ihr die wuselige Umtriebigkeit der ankommenden und abfahrenden Gäste. Bis zur Mittelstation höre ich noch den Verkehr der Schnellstraße hinter mir im Tal, doch danach wird es immer stiller. Nun kann ich mich voll und ganz auf die Natur einlassen. Die klare Brise in meinem Gesicht gleicht einem frischen Bergquell. Ein paar Meter unter meinen Füßen blitzen die taufrischen Grashalme der Bergwiese auf. Hummeln fliegen brummend von Wiesenblume zu Wiesenblume, bunte Schmetterlinge gleiten lautlos dahin. Ich blicke auf zu den vorbeiziehenden Tannen, deren Holz ab und an durch die Wärme der Sonne knackt. Die wohlig warmen Sonnenstrahlen treffen auf meinen Kopf. Dort knackt es auch: Mit jedem Meter, den ich höher auf den Berg schwebe, fällt ein weiterer Teil meiner Anspannung ab. Als würde ich zusammen mit den Geräuschen die Sorgen des Alltags unten im Tal zurücklassen. Zwar weiß ich, dass sie nicht weg sind, aber für den Tag auf dem Berg kann ich sie vergessen.
Der Schrei eines in der Luft kreisenden Bergadlers kündigt schließlich die Ankunft auf dem Wilden Kaiser an. Ich springe aus dem Sessel und habe wieder festen Boden unter den Füßen. Der Berg belohnt mich mit einer atemberaubenden Aussicht auf Tirol. Sogar Deutschland kann ich sehen, so gut ist die Sicht. Doch ganz gleich, was sich dort unten abspielt, hier oben betrifft es mich nicht. Hier oben kann mir keiner was. Es ist, als wäre ich auf dem Berg leichter, ohne den Ballast, den ich dort unten, wo sich das Leben abspielt, zurückgelassen habe.
Solche Auszeiten vom Alltag sollte man sich auch ohne Berg gönnen, doch mit gelingt es definitiv leichter. Ich persönlich gehe lieber einen Deal mit dem Berg ein: Lastenabfall gegen Lastenaufzug.
© Nina Waldkirch 2021-03-04