Sandkorn

Aron Pour Nikfardjam

von Aron Pour Nikfardjam

Story

Ich stand auf der Spitze der Düne, ein Sandkorn auf einem Berg seinesgleichen. Über mir verließen die letzten flüchtigen Wolken des Tages den Himmel und gaben den Weg für das Licht der Sterne frei. Ich fühlte mich einsam.

In der letzten Nacht war der alte Traum wieder zurückgekehrt. Eigentlich hatte ich gehofft, dass nach meiner Landung auf dem Flugplatz einiges besser werden würde, dass mich der Traum, nun da ich seinem Ruf letztendlich dennoch gefolgt war, verlassen würde. Aber ich hatte mir wohl zu viel erhofft.

Wie schon unzählige Male zuvor erschien mir im Traum eine endlose Wüste. Jedes Mal war ich allein dort, ein Sandkorn auf einem Berg seinesgleichen und blickte zu den Sternen hinauf. Und dann spürte ich es, das leise Bohren tausender Blicke, das sich kalt in meinen Rücken grub. Vergeblich versuchte ich es zu ignorieren, den Zwang zu bekämpfen einfach loszulassen. Mich einfach umzudrehen. Doch jedes Mal verlor ich. Wie von eisernen Händen gezogen wandte ich mich um und erblickte es:

Eine Pyramide aus schwarzem Stein; Blick-erdrückend, Geist-zermalmend; und mit ihrer Spitze stach sie den Mond.

Seit einem Jahr nun träumte ich diesen Traum immer wieder ohne Unterlass. Anfangs hielt ich es noch für kurios. Welcher Mensch hat denn schon denselben Traum an jedem Tag in einer Woche? Doch schon bald erkannte ich den Schrecken, dem ich nun anheimgefallen war. Vergeblich versuchte ich einen anderen Traum zu haben, mein Hirn abzulenken. Ich las, schaute fern, diskutierte, hatte unzählige Affären. Nichts. Ich ging zum Arzt, der mich als seltenen Fall zu einem Kollegen schickte. Es folgten noch zehn weitere Kollegen, unzählige Therapien und ein Monat im Sanatorium. Nichts.

Allmählich begann der Traum auch von meinem wachen Zustand Besitz zu ergreifen. Sobald ich auch nur das Knirschen des Sandes hört, zuckte ich zusammen. Dreieckige Formen konnten einen Anfall auslösen. Und nachts glaubte ich die Pyramide vor meinem Haus stehen zu sehen; Blick-erdrückend, Geist-zermalmend. Ich hörte sie nach mir rufen. Zuletzt ergab ich mich. Ich kündigte meinen Job, verkaufte mein Haus, verließ alle meine Affären und kaufte mir ein Einwegticket ohne Rückflug. Ich wusste, ich würde nicht zurückkommen.

Und nun war ich hier, an der Spitze der Düne. Irgendwo hinter mir im Sand lag mein Koffer. Ich brauchte ihn nicht mehr. Als ich gerade dabei war, mir die Kleider vom Leib zu reißen, spürte ich es endlich.

Das leise Bohren tausender Blicke, das sich kalt in meinen Rücken grub. Als ich mich umdrehte, lachte ich.

© Aron Pour Nikfardjam 2022-11-09

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