Schwein mit Hund

OskarBrandt

von OskarBrandt

Story

Oskar presste seine Augenlider zusammen. Das, was er gerade gesehen hatte, musste eine Illusion gewesen sein. Eine Folge der Erschöpfung, eine Überreaktion seiner Sinne. Das heiße Wasser prasselte aus dem Duschkopf in seinen Nacken und umschlang seinen Körper. Dunst zog durch das Badezimmer. Oskar blinzelte.

Neben dem Waschbecken stand ein Schwein im Anzug, nur auf den Hinterbeinen, den Rücken durchgedrückt. In seinem linken Huf hielt es eine Leine, die zu einem kleinen schwarzen Hund führte. «Du weißt, warum ich hier bin?»

Oskar schlug die Hände über dem Kopf zusammen und plusterte seine Wangen auf. Nach Monaten der kreativen Krise hatte er vor drei Tagen endlich wieder mit dem Schreiben begonnen. Anfangs hatte er kaum so schnell tippen können, wie ihm die Gedanken aus den Fingern flossen. Der Schriftsteller in ihm war wieder zum Leben erwacht. Alles, was er so lange verdrängt hatte, durfte wieder frei sein. Doch heute war sein Projekt ins Stocken geraten. Jedes Wort, das er zu Papier brachte, schien bedeutungslos. Jeder Satz nährte die Zweifel an seinem eigenen Schaffen.

«Bist du Goethe und Schiller eigentlich auch so auf den Sack gegangen?» Oskar stellte das Wasser ab und trat aus der Dusche. Wer würde ihm jemals glauben, dass er nackt vor einem Schwein mit Hund stand?

Das Schwein musterte ihn von oben bis unten, der Hund wedelte mit dem Schwanz. Die Stimme von Lady Gaga durchbrach die Stille, der Refrain von Pokerface erfüllte das Bad. Das Schwein zog ein Handy aus der Innentasche seines Sakkos und nahm den Anruf entgegen. «Jetzt nicht, Mutter! Ich habe gerade ein wichtiges Kundengespräch.» Am anderen Ende der Leitung quiekte es aufgeregt. Das Schwein verdrehte die Augen. «Nein, ich habe dir doch schon gesagt, dass ich am Sonntag nicht zum Mittagessen vorbeikomme! Kannst du mich bitte einmal in Ruhe arbeiten lassen?» Das Schwein legte auf und verstaute das Telefon wieder in seinem Sakko.

Oskar wurde kalt, er nahm sich ein Handtuch von der Heizung. Das Schwein stand nun direkt vor ihm, er konnte den warmen Atem auf seiner Haut spüren. «Kundengespräch. So nennen Sie das also, was Sie den Menschen antun.»

«Ich weiß, was du über mich denkst», sagte das Schwein. «Aber oftmals ist es anders, als es scheint.»

Oskar zitterte am ganzen Körper. Er wollte etwas sagen, doch seine Lippen blieben verschlossen.

«Die meisten meiner Kunden glauben, es sei mein Job, ihr Leben zu zerstören. Doch meine Aufgabe ist eine ganz andere. Dein neues Werk hat Potenzial, aber du driftest ab, wirst schon wieder viel zu melancholisch. Die Menschen stehen auf Spannung, Spaß und Erregung.» Das Schwein drehte sich um und zog an der Leine. «Komm, wir gehen.»

Plötzlich konnte Oskar seinen Körper wieder spüren. Er griff nach dem Hocker neben der Dusche und schlug ihn von hinten auf den Kopf des Schweins.

© OskarBrandt 2024-03-10

Genres
Romane & Erzählungen, Lebenshilfe
Stimmung
Abenteuerlich, Komisch, Mysteriös, Reflektierend, Angespannt