Vogelscheuche

von Florian Kalenda

Story
Bad Bründlholz 1998

Die Kartoffeln blühen. Auf dem Feldweg zwischen Bach und Acker fährt Bärbel mit dem Rad zum Erdbeerfeld. Jenseits des Grabens ist der Raps niedergedrückt vom Gewitter. Der Imker hat längst die Bienenstöcke eingeholt. Zwischen den Schoten, keine fünf Meter vom Rand des Erdbeerfelds, steht eine Vogelscheuche. Die ist neu. Warum hat sie keinen Hut? Jeder Schneemann und jede Vogelscheuche braucht einen.

Sie hält, bahnt sich einen Weg. Der Hut liegt neben der Vogelscheuche. Er hat mehrere runde Löcher. Bärbel untersucht den Strohkopf, zieht einen silbernen Gegenstand heraus. Er ist geformt wie eine Figur beim Mensch-ärgere-dich-nicht, aber kleiner als ein Fingernagel.

Die kurze Strecke schiebt sie. Auf dem Erdbeerfeld ist noch niemand. Später wird es sich mit Familien füllen. Schließlich ist Sonntag. Ach, die Erdbeerzeit ist so schnell vorbei. Bärbel pflückt nicht. Sie kauft Körbchen. Das beugt Rückenschmerzen vor. Aus dem Häuschen lacht ihr der Ozan entgegen: »Grüß Sie, Frau Oberwallner!« Ein Charmeur ist er. Sie hat ihm das Lesen und Schreiben beigebracht, vor ihrer Pensionierung. In Deutsch war er einer der Besten. »Ja Ozan, das ist schön, dass ich dich treffe. Was machst du denn jetzt?«

»Ich helf hier aus, wie Sie sehen!« Er zwinkert. »Aber unter der Woche mache ich ein Praktikum bei einer Agentur.« – »Das klingt ja toll. Eine Werbeagentur?« – »Sozusagen. Wir bauen Webseiten.« – »Das ist die Zukunft!« Sie strahlt ihn an. »Sind die Erdbeeren aromatisch? Letzte Woche hat ihnen noch ein wenig Reife gefehlt.« Er springt auf, reicht ihr eine Schale. »Probieren Sie!« Bärbel reibt die Beeren mit einem Tempo ab. »Kein Vergleich«, lobt sie. Er strahlt. Dann sagt sie: »Sag mal, Ozan, willst du Schützenkönig werden?« Er schaut ertappt in die Ecke. Da steht ein Luftgewehr, eine Büchse Diabolos daneben. Die Vogelscheuche wird noch öfter den Hut verlieren.

»Gehen Sie denn auch aufs Fest, Frau Oberwallner? Ich könnte Ihnen eine Rose schießen!« Er übertreibt es, findet sie. Das hat er nicht nötig. »Ich glaub, du willst den großen Teddy gewinnen«, sagt sie. »Aber ich frag dich nicht, für wen.« Sein Lachen klingt diesmal nicht ganz so natürlich. Bärbel zeigt mit dem Finger. »Die Schale gefällt mir, die nehm ich. Und vielleicht noch eine zweite … die da ist schön, aber ist da nicht weniger drin als in den anderen?« – »Ich leg Ihnen noch ein paar dazu, Frau Oberwallner!«

»Danke schön. Weißt du, für Marmelade ist es egal, aber für den Kuchen brauche ich extra rote.« Bärbel macht eine träumerische Miene. »Schade nur wegen dem Ochsenrennen.«

Verdutzt sagt der Ozan: »Warum schade, Frau Oberwallner?« Bärbel lächelt milde. »Aber es fällt ja heuer aus. Die Gemeinde hat es verboten.« – »Ja natürlich«, stammelt er. »Extrem schade!«

Das ist jetzt äußerst interessant, denkt Bärbel, der Ozan geht fest davon aus, dass das Rennen stattfindet. Wie jedes Jahr. Obwohl es der Gemeinderat verboten hat. »Vermisst du die Schule manchmal?«, fragt sie noch. »Nur die Deutschstunden«, sagt er.

© Florian Kalenda 2024-01-08

Genre*
Romane & Erzählungen