Vollgas

von Marion Glück

Story

Die letzten Tage waren wir auf dem Übungsplatz. Kein Alkohol. Dafür das ganze Viehzeug – Mücken, Bienen, Fliegen. Heute ging es früh zurück. Wir hatten schon seit Tagen Lust zu feiern. Wir sind mein Stubenkamerad und ich. Frisch geduscht gibt es Würstchen aus dem Wasserkocher und Käsesandwich. Mehr geht auf der Bude ohne Küche nicht. Nebenbei gibt es Bier, später Hartgas. Vorglühen, bevor es auf die Piste geht. Wir glühen härter vor als andere Party machen. Die anderen wollen nicht mit uns losziehen, sondern morgen Vollgas geben – auf der Autobahn nach Hause. Sie machen ihren DLC mit ihren Hasen. DLC – Daily Love Call – hätte ich auch gerne. Hab aber kein Glück mit den Hasen.

Wir ziehen uns an. Die Stufen im Block kommen wir unfallfrei runter. Wir erreichen den Zug nach Kiel. Dort ziehen wir von einer Kneipe zur nächsten. Bis das Geld alle ist. Wir haben noch nicht genug. Wird Zeit für die Sparkasse. An der frischen Luft knallt der Stoff so richtig rein. „Ey, was’n das für’n Typ da …“ Kompletter Kontrollverlust … Filmriss …

Ich wache auf. Auf meiner Stube. Mein Schädel brummt. Ich könnte kotzen. Stehe auf. Keine Schnürsenkel in den Botten. Äh?! 14.17 Uhr?! Was is’n überhaupt für’n Tag? Woran erinnere ich mich als Letztes? Wir wollten Party machen, waren in Kiel, haben Vollgas gegeben. Wie bin ich zurückgekommen?! Irgendwas war doch gestern. Mein Telefon ist weg. Scheiße. Verloren.

Der Spieß reißt die Tür auf. „Boah! Alter! Red’ nicht so schnell und nicht so laut.“ Jetzt muss ich doch kotzen. Danach muss ich zum Chef. Der Chef is ’ne Alte. Sieht gut aus. Is der Kettenhund vom echten Chef. Der hat Urlaub. Nächste Woche ist er wieder da. Zum Glück. So heißt sie – Glück.

„Sind Sie vernehmungsfähig? Ich will Sie als Soldat vernehmen. Fühlen Sie sich vernehmungsfähig?“

„Ja, wieso? Was ist passiert?“

„Das wollen wir jetzt herausfinden. Ihr Telefon habe ich Ihnen abgenommen. Es wurde ausgelesen.“

Mein Telefon ist nicht weg. Sie hat es. Scheiße. Verloren. Sie hat bestimmt auch meine Schnürsenkel. Fuchs ist sie, nicht Kettenhund. Sie fragt. Ich antworte. Sie sieht mich an und tippt nebenbei das Protokoll – Wort für Wort, so wie ich es sage. Das ist gar nicht gut. Dann liest sie mir alles noch einmal vor. Ich suche immer noch nach meiner Erinnerung. Sie weiß viel mehr als ich. Die Feldjäger haben uns heute früh im Vollsuff zurückgebracht. Ich habe gefilmt, wie wir einen Penner in der Sparkasse fast kaltgemacht haben. Liegt mit Schädelbasisbruch im Krankenhaus.

Sie spricht ein Uniformtrageverbot aus. Ich darf nicht mehr am Dienst teilnehmen. Muss mich jeden Tag bei einer Einheit an meinem Wohnort melden und beim Spieß anrufen. Ich heule und unterschreibe das Protokoll. Ich komme nie wieder zum Dienst. Nach den Verfahren bin ich verurteilt und aus der Bundeswehr entlassen. 2 Jahre später fahre ich mit meinem Motorrad mit Vollgas gegen einen Baum.

© Marion Glück 2024-03-01

Genre*
Romane & Erzählungen, Biografien
Stimmung
Herausfordernd, Dunkel, Emotional, Reflektierend