WAHRE GEISTERGESCHICHTEN

KarinEstrelaHamm

von KarinEstrelaHamm

Story
Die Geschichten spielen zwischen Portugal und Deutschland 1966 – 1980

1966 – Ich sehe das Was du nicht siehst

Niemand wagte es, nach Einbruch der Dunkelheit allein auf die Straßen zu gehen, aus Furcht vor dem Unbekannten, vor dem Übernatürlichen, das sich in jeder Ecke verstecken konnte. Die Fenster waren fest verschlossen, die Türen vernagelt, und doch schienen die Geister ein Weg zu finden, sich in die Herzen und Gedanken der Bewohner einzuschleichen.

Dann kam ich, ein kleines Kind, das diese Geister sah, ohne zu wissen, dass sie als solche bezeichnet wurden. Für mich waren sie einfach nur Freunde. Schließlich hat jedes Kind seine eigenen imaginären Freunde, oder nicht? Doch alles änderte sich, als ich begann, Botschaften zu übermitteln, zu Themen, die für ein Kind meines Alters unverständlich gewesen wären.

An dem Tag ging ich mit unserer Köchin, dem deutschen Schäferhund namens Conde (Graf auf Portugiesisch) füttern. Von Weitem sah ich einen Mann hinter der Hundehütte stehen. Er trug einen Zylinder, war schwarz gekleidet und hielt einen Gehstock mit einem Knauf aus glänzendem Silber, der im Licht der Abendsonne schimmerte. Nachdem der Mann mir zugewinkt hatte, winkte ich zurück. Plötzlich hörte ich die Köchin fragen:

„Fräulein, wem winken Sie da zu?“ „Na, meinem Freund!“, antwortete ich ohne zu zögern. „Welcher Freund? Da ist niemand“, sagte die Köchin skeptisch. „Doch, siehst du ihn nicht? Da, hinter der Hundehütte“, erklärte ich lebhaft.

Die Köchin war von meiner Reaktion derart überrascht, dass sie vor Schreck ihre Röcke hob und schreiend nach Hause rannte. Verwirrt darüber, was sie so erschreckt hatte, blieb ich allein zurück.

Dieser Herr und ich waren alte Freunde. Wir gingen oft gemeinsam spazieren, unsere Unterhaltungen waren immer sehr lebhaft. Er erzählte mir, dass an der Stelle, wo jetzt das große Haus steht, früher ein Boxenstopp für Pferde und Kutschen war, eine Pension. Heute befindet sich dort ein wunderschönes, großes Haus mit einem riesigen Grundstück – ein wahres Paradies, er hatte es umgebaut. Im Haus befanden sich zahlreiche Fotos von dem Herrn, von denen eines im Flur auf einer antiken Truhe stand. Jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeiging, kippte es unerklärlicherweise um, egal welchen Gehschritt ich wählte – sei es schnell, auf Zehenspitzen oder ganz normal. Selbst die Dienstboten weigerten sich hartnäckig, den Flur zu säubern, wenn ich zugegen war.

Es war beinahe zum Mysterium geworden, denn das Foto schien nur auf meine Anwesenheit zu reagieren, während es bei den anderen Bewohnern keinerlei ungewöhnliches Verhalten zeigte.

© KarinEstrelaHamm 2024-12-29

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