by Jule Klinger
Es sind Ferien. Ich fliege nicht in den Urlaub, sondern besuche meine Cousine für ein paar Tage. Man muss lange mit dem Zug fahren, um zu ihr zu kommen, doch die Fahrt macht mir nichts aus. Ich habe ein Buch dabei, das kann ich lesen und die Leute in meinem Abteil sind sehr ruhig. Es geht an Wäldern und an Pferden vorbei, irgendwann erreichen wir die nächste Stadt. Drei Mädchen, ungefähr so alt wie ich steigen mit ein. Sie unterhalten sich laut miteinander, natürlich muss ich zuhören. Ach, der gestrige Abend war ja so lustig! Der hat das gesagt und sie hat das gemacht und wer mit wem und was nicht alles! Bei der nächsten Station steigen sie aus und eine ältere Frau setzt sich mir gegenüber. Sie beginnt ein Gespräch mit mir, ich schlafe kurz ein. Wache wieder auf und erschrecke. Es ist schon dunkel geworden. Die Frau sitzt immer noch da. Sie entwirrt gerade ein Wollknäuel. Dann strickt sie weiter. Klick klack. Wir reden miteinander und dann komme ich endlich an. Meine Cousine wartet am Gleis auf mich, wir freuen uns sehr, uns zu sehen. „Was willst du zuerst machen?“, fragt sie mich. Ich will mit ihr die Stadt anschauen, in der sie lebt und ins Kino gehen, sie soll mir alles zeigen! Aber können wir erst einmal etwas essen? Ich habe so großen Hunger. Na klar. In der Nähe des Bahnhofs ist ein Supermarkt, da kaufen wir uns Snacks, Spaghetti und Gemüse. „Pass mal auf, es gibt da einen Trick“, sagt meine Cousine. Siehst du, wie viel der Parmesan kostet? Dafür will ich nicht bezahlen. Genauso die Oliven, das Shampoo, der Reis. Diese Sachen kommen in ihren Rucksack, der Rest kommt ganz normal in die Einkaufstüte, die sie mitgebracht hat. An der Kasse legen wir nur die Lebensmittel aus der Tüte auf das Band. Das, was wir versteckt haben, sieht niemand, es interessiert auch keinen. Mich wundert es ein bisschen, ehrlich gesagt bin ich auch ziemlich aufgeregt. Mein Herz schlägt ganz schnell. Sie bleibt entspannt, scherzt sogar noch mit der Kassiererin und zahlt dann zehn Euro. Wir gehen zum Ausgang – es gibt keinen Alarm, wir werden auch nicht aufgehalten. Erleichtert fangen wir beide an zu lachen. Als ob wir nicht erwischt wurden. „Keine Sorge“, sagt meine Cousine. „Wir sind kleine weiße Mädchen. Niemand denkt hier, dass wir klauen könnten.“ Da hat sie recht. Wir legen meinen Rucksack und die Einkäufe in ihrer Wohnung ab, danach drehen wir eine Runde durch ihr Viertel. Mir gefällt es. Dann kochen wir die Spaghetti, suchen noch nach einem zweiten Kopfkissen für mich und richten das Bett her. Es ist groß genug, dass wir zu zweit darin schlafen können. Wir reden die ganze Nacht über, es gibt ja so viel, was wir uns noch erzählen müssen. In der letzten Zeit sind wir beide weit gelaufen, jetzt können wir zurück zu dem gehen, was wir kennen.
© Jule Klinger 2023-09-01