Immer wieder denke ich, ich bin wohl Ann. Weit entfernt, lediglich in ErzĂ€hlungen ĂŒber die Vergangenheit prĂ€sent in einer Form, die sie selbst nicht mitgestalten kann. Ann ist auf Reisen und fĂŒr mich fĂŒhlt es sich phasenweise so an, als wĂ€re sie auf der bewussten Reise zu sich selbst. Unterwegs irgendwo drauĂen am Meer, in der Welt, im Universum und vor allem in Bewegung. Manchmal ruft sie an. So wie ich manchmal anrufe. Mich Ă€uĂere, in Erscheinung trete. Und genauso wie die Leserschaft keine Ahnung hat wie es Ann geht, sie nicht wirklich greifen kann, sie spezifisch im Kontrast du den anderen Protagonisten wie ein (Frei)Geist durch das Werk schwebt, genauso mag es (manchen mit) mir gehen; fĂŒhle ich mich wie ein Geist. Bleibt man beobachtend zwischen den Zeilen im Interpretationsspielraum zwischen errungener Freiheit und eingeengter Flucht zurĂŒck. Und ist sie diejenige, die in diesem ganzen Buch untergeht. Einen Hauch an PrĂ€senz hat, eine SelbstverstĂ€ndlichkeit und der Schmerz ĂŒber ihre VerĂ€nderung, ihr Entschwinden, rationalisiert wird in Beschreibungen der Nostalgie einer Vergangenheit wodurch sie versucht wird zu fassen. Ihre Bedeutungsschwere durchdringt aber mit einem Fokus darauf was war, weil das Jetzt unantastbar geworden ist und das ZukĂŒnftige zu ungewiss. Man spĂŒrt die Trauer darĂŒber, die Angst davor und eine Ratlosigkeit in den Zeilen, die ĂŒber Ann geschrieben sind. Wie man alles spĂŒrt! In kĂŒrzesten SĂ€tzen gelingt es der Autorin Judith Hermann nĂ€mlich, in ihrem fĂŒr die Leipziger Buchmesse 2021 nominierten Spiegel-Bestseller âDaheimâ TĂŒren zu öffnen, beschreibt sie lediglich nur allzu faktisch, kĂŒhn und vermutend. Stellt die Leser dadurch direkt den eigenen Emotionen und Assoziationen gegenĂŒber und lĂ€sst sie vor allem damit stehen. Konfrontiert sie mit der FĂŒlle der Welt an Empfindungen wie beispielsweise Verzauberung und Ekel, TrĂ€umereien und der viel zu harten RealitĂ€t und all das retrospektiv betrachtet vermutlich im selben MaĂe. Spielt sie in pointierter Geschicklichkeit mit dem was mich an den Stoizismus, an Epiktet, erinnert: âEs sind nicht die Dinge selbst, die uns bewegen, sondern die Ansichten, die wir von Ihnen habenâ; daran, dass wir unentwegt, uns dem Bewusstsein nicht bewusst, bewerten.Â
Verstört war ich am Ende, nach all der Zeit, die ich diesem Buch gewidmet hatte, all den Gedanken und GefĂŒhlen die ich darauf gegeben hatte und eine Wirkung nach vollendetem Lesen bekam, wie ich sie vorher noch nicht kannte und auch jetzt noch nicht beschreiben oder erklĂ€ren kann. Zeitverschwendung dachte ich. Gewaltige literarische Begabung, die mich absolut fasziniert und schwer begeistert, aber wieso macht die Autorin das? Warum nutzt sie es nicht Einen positiver zurĂŒckzulassen? Hoffnungsfroher und vor allem konkreter?
Dann habe ich das Thema abgehakt.
Bis ich gemerkt habe, dass ich – und heute ganz besonders – immer wieder an Ann denken muss, daran, dass ich wohl Ann bin: Eine offene Frage; jene wie sie Epiktet âDas Buch vom geglĂŒckten Lebenâ der im Aphorismen-Taschenbuchformat auf meinem Tisch liegt hervorhebt:
ob sie denn ĂŒberhaupt glĂŒcklich ist?
© _wortkunstliebe_ 2023-12-03