Aufgebrochen

Kai

by Kai

Story

In Eile stehen gelassener, jetzt kalter Lieblingstee, unausgesprochenes Wort, ungeklärtes Problem. Das Bett nicht gemacht, der Gedanke nicht ganz zu Ende gedacht. Die Risiken wurden nie begangen, das Kreuzworträtsel „Einfach“ nur angefangen. Aufgeschobene Pläne, Aufgaben, ganz und gar, da hängen sie, liegen schwer in der Luft, wie alles was da sonst noch war. Der Wind weht durchs Zimmer. Vom offenen Fenster hereingebeten, streicht er um die Trümmer. Reißt lose Blätter von Stapeln und zu hoch gebauten Türmen. Egal, denn wer hier wohnt ist beschäftigt, hinaus in die Welt zu stürmen. Er ist aufgebrochen, ausgeflogen, ergriffen von inneren Wellen und Wogen. Fast wie eine Flucht, so eilig er ist das erste Mal frei und dabei vergisst er sich selbst. Denn er scheint dies alles nicht zu hinterfragen, ist entschlossen, die Schwere nicht länger zu tragen, er lässt sie fallen und kümmert sich nicht, so fällt auch seine alte Welt, sein früheres Ich. Hat endlich die eigenen Flügel wiederentdeckt und auch wie seine Freiheit so schmeckt. Sie schmeckt nach Windbeutel und Glückstränen und er beginnt sofort sich wieder zu sehnen. Zu sehnen nach Heimat, zu sehnen nach Wärme, die wartet sicher draußen auf ihn, weit in der Ferne. Aufgebrochen ist er, ausgeflogen, lange genug den Aufbruch aufgeschoben. Aufgebrochen in tausend Stücke, die wehen im Wind gen Freiheit. Sein Kern ist geknackt, seine Vergangenheit und tiefsten Wünsche wieder ausgepackt. Jetzt soll er treiben, in das Unbekannte, in die Weite in die Ferne. Soll treiben, soll ziehen, wie die Wolken und die Sterne. Weiter und höher hinaus, alles was er niemals konnte brach jetzt aus ihm heraus. Er will heraus. Heraus. Herausfinden was er überhaupt sucht. Sucht er das Herauskommen? Das Hinausstürmen, ganz ohne ein Herauszögern, wie er es jahrelang tat? Einfach freiheraus? Und dann alles herausbrüllen, das Maximum aus sich herausholen, aus der Masse herausragen, um ganz alleine aus dem Labyrinth hinauszufinden?! Dafür muss er über sich hinauswachsen, nicht nur immer hinausgucken, über den eigenen Rand. Er weiß er kann es. Er will es können. Hinaus in die Welt. Und das möglichst schnell. Aufgebrochen, ausgeflogen, zu eilig ist er abgehoben. Und hatte er eben noch seine Flügel wiederentdeckt, nach langer Zeit „Freiheit“ erneut geschmeckt, so wird ihm schnell klar, sie sind defekt. Und alt und kaputt, außerdem viel zu schwer, taugen des Fliegens schon lange nicht mehr. Sind abgestumpft und zum Dableiben gestutzt, sie immer herumzutragen hatte ihm nichts genutzt. Von Leben und Wänden bei jeder Bewegung geschunden, verheilten sie nie vollständig, seine Wunden. Scheint er jetzt für immer an kaputte Flügel gebunden. Aufgebrochen, aber nicht ausgeflogen, wollte fliegen, hat sich selber belogen. Er schreit und er schreit voller Resignation, holt Luft, er springt und erwartet schon zu taumeln, zu stürzen, unten aufzuprallen. Doch Etwas reißt ihn herum und statt zu fallen, wird er getragen und kann es nicht fassen, wie viel Mut es kostete, loszulassen. Mit seinen tauben Flügeln, mit all seiner Last, bricht er jetzt auf und wäre doch fast verloren gegangen, ganz in sich selbst. Und es gibt immer noch vieles, was ihn hält, wie Zweifel und Angst und Vergangenheit, von denen er sich vielleicht nie befreit, sie begleiten ihn und er ist dennoch bereit. Er ist aufgebrochen, ausgeflogen, denkt nicht mehr, er müsse schnell ganz nach oben, er lässt sich mehr Zeit. Voll neuer Zuversicht, doch manchmal am Zittern bewegt er sich in kleinen und großen Schritten. Mal im Flattern und mal im Schweben, wohin es ihn zieht, wird sich noch ergeben und das ist -glaube ich- oft so im Leben.
~12.11.2022-27.01.2023

© Kai 2023-08-12

Genres
Novels & Stories
Moods
Emotional, Reflektierend
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