Der Glücksschmied

Louis Eikemper

by Louis Eikemper

Story
Fatum

Salai blickte träumerisch über die Büstung der Medici-Brücke und genoss ein Momentum vom Kaiserwetter, dass sich ihm im reflektierenden Sonnenlicht auf dem gefrorenen Täufersee erbot. Er hielt inne, sammelte sich und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Auch an diesem Tag war er wieder einmal von den Plagen seines inneren Unmuts heimgesucht worden, sodass sein Weg ihn in Fatums Kunstviertel führen sollte, wo er den städtischen Glücksschmied um einen helfenden Rat ersuchte. Als er in der Anna Selbdritt Gasse einbog, funkelte ihm die weißgoldene Torrahmenschrift von dessen Werkstatt im Verlaut „Carpe diem et carpe noctem” bereits vertraut zu. Für Einwohner der Gemeinde war hier Tag- und Nacht geöffnet. Insgeheim rätselte man unlängst, ob der Glücksschmied jemals schlief. In gewisser Weise machte ihn das in seinem Wesen numinos; einerseits unheimlich, doch in aller Hilfsbereitschaft, die er den Einwohnern der Stadt zu leisten pflegte, ebenso anziehend.

Als er die Werkstatt betrat, stiegen Salai die betörenden Noten von Amber und Lilie in der Nase empor, welche das vom Glücksschmied eigens entwickelte Parfum regierten. Die gesamte Schmiede roch danach. Mit gekehrtem Rücken saß der Schmied an seinem im Spiegelglanz polierten Tisch aus blauem Turmalin. Wie üblich, war er in seinen Schriften vertieft. Der Meister grüßte, ohne mit der einen Hand aufzuhören zu schreiben, mit der anderen eine einladende Geste deutend und rätselhafterweise wissend, wer ihn besuchte: „Willkommen, Salai. Schön, dass du da bist. Setz dich zu mir!” Salai folgte der Einladung. Er holte tief Luft, bevor er mit seinem Anliegen begann. „Vielen Dank, Meister. Ich muss Euch gestehen, dass mein Besuch von Sorgen geprägt ist.” Der Schmied nickte und wies ihn unerschüttert an fortzufahren. „Nur zu, mein Schüler. Wo drückt denn der Schuh?” Salai sprach: „Nun, Lehrmeister Lorenzo nennt mich größenwahnsinnig, seit ich von meinem Traum erzählte, nach der Schauspiellehre ein eigenes Theaterstück in Auftrag zu geben. Er sagt, dass ich mich gefälligst auf die Rollen in seinen Stücken konzentrieren solle und ohne ihn ein Niemand wäre! Sind meine Träume denn wirklich zu vermessen?” Der Glücksschmied tauchte seine Füllfeder ins Tintenfass und wandte sich nonchalanten Blickes Salai zu. „Wenn du mich fragst, lieber Salai: Zu hohe Ziele gibt es nicht. Es gibt nur die Distanz zwischen Start- und Ziel und eben die Zeit, welche du brauchst, um die Strecke zurückzulegen. Die Maßstäbe setzt dabei nur du. Blickst du einmal in dich, wirst du in deiner Seele keine Grenzen finden, auch wenn du alle dir darin bekannten Wege gegangen bist. Die Seele ist unendlich – genau so auch ihre Möglichkeiten! Was du träumst, kannst du realisieren. Da gibt es weder zu schöne Träume, noch zu große Ziele. Folge deinem Stern Salai – stets tüchtig, bedacht und Schritt für Schritt.” Der Glücksschmied lächelte und klopfte ihm ermutigend auf die Schultern. „Schließ die Augen. Öffne sie erst, wenn du meine Hand nicht mehr auf der Schulter spürst. Heute sind wir fertig!” Salai wurde aus dem Moment gerissen, bevor ihm eine Antwort möglich gewesen wäre.

Als er wieder zu sich kam, fand er sich auf der Medici-Brücke wieder. Verdutzt spürte Salai, dass man ihm etwas in die Manteltasche gesteckt hatte und kramte den Gegenstand hervor. Es war ein silbergrauer Kompass, auf dessen Hülle die Inschrift »Wer seinem Stern folgt, kehre nicht um« im Hochrelief graviert war. Die Nadel zeigte gen Süden. Salai erkannte, dass der Täufersee aufgetaut war – und seine Sorgen im darüber pittoresk anmutenden, vom Sonnenschein erfüllten Panorama, völlig verflogen schienen. Intuitiv beschloss er entlang der zugewiesenen Himmelsrichtung zu schreiten und den Kompass fortan als Wegweiser seiner Träume zu versinnbildlichen – manifestierend, den eigenen Sorgen nie mehr folgsam zu sein.

© Louis Eikemper 2024-01-23

Genres
Novels & Stories
Moods
Hoffnungsvoll, Inspirierend, Mysteriös
Hashtags