by Sabine Doods
Wir haben eine bestimmte Vorstellung von Verbrechern. Gefährlich sind sie, vom rechten Weg abgekommen oder nie auf ebendiesem gewesen. Jung. Männlich. Ausländer. Wir denken, wir sehen diesen Menschen ihre Taten an. Das Böse, das in ihnen schlummert.
Ich treffe K, die an einer FH studiert. Eine junge Erwachsene, die mit 20 um 20 Uhr zu Hause sein muss, weil es sonst Schläge gibt. Die Eltern aus einem asiatischen Land, sie in Österreich sozialisiert. Zwei Welten, die aufeinander prallen. K. hat wenig Geld. Und diesen Zwang, Dinge mitzunehmen, ohne sie zu bezahlen. Oft widersteht sie, dann wieder packt sie dieses Gefühl und sie gibt ihm nach. Schämt sich danach. Fragt sich, was mit ihr nicht stimmt.
In unserer schwarz-weißen Weltsicht gehören Straftäter hinter Gitter. Hohe Strafen um abzuschrecken.
Was jedoch tun mit K?
Oder mit P? P, der volltrunken eine Polizistin bei einem Rettungseinsatz verletzt hat. Wild um sich geschlagen hat. Widerstand gegen die Staatsgewalt. Nur Bruchstücke einer Erinnerung. P., der keinen Sinn mehr sah in seinem Leben. Der am Fensterbrett im 3. Stock saß. Betrunken. Sich einfach fallen ließ. Überlebte.
Oder O. Der mit seinen Freunden im Auto einen selbstverschuldeten Unfall baute. Weil er unachtsam war. Die Kontrolle über sein Auto verlor. Selbst schwer verletzt, sein bester Freund tot. Durch sein Verschulden. Kann das Strafgesetzbuch eine schlimmere Strafe verhängen als den Tod des besten Freundes ? O., der sich wünscht, dass er an Stelle seines Freundes gestorben wäre.
Die Straftaten lesen sich schrecklich am Papier. Dann sitzen K, P oder O vor einem, und man sieht den Menschen hinter den Taten in die Augen. Sieht den Schmerz, die Verzweiflung, die Sinnlosigkeit, die Abgestumpftheit. Liest zwischen den Zeilen die menschlichen Tragödien hinaus. Versteht ein kleines bisschen besser, wie es dazu kommen konnte. Oder versteht auch gar nichts. Versucht zu helfen, wo man helfen kann. Und ist froh, dass man nicht diejenige sein muss, die bestrafen wird.
© Sabine Doods 2024-02-11