Die Tagebücher des Todes – Januar I

Johanna Krug

by Johanna Krug

Story

Das letzte Jahr endete mit einem Papst. Wie passend. Selbst für mich ist so etwas allerdings immer noch eine gewisse Seltenheit, da es trotz allem in der Geschichte der Menschheit nicht besonders viele Päpste gab. Besonders nicht oft zwei gleichzeitig. Was die Millionen Menschen in ihm sehen und warum sie meinen, er sei der gewählte Stellvertreter Gottes auf Erden, kann ich nicht nachvollziehen. Und streiten sie sich nicht ständig darum, welcher ihrer Götter der beste sei und am meisten Anbetung erfahre? Sie werden von euch verehrt, diese Stellvertreter Gottes auf Erden, als wären sie mehr als nur Sterbliche. Ich persönlich finde es immer ganz amüsant, ihnen am Ende ihres Lebens zu begegnen. Was wirklich heraussticht, ist ihr Glaube, die vollkommene Überzeugung von der Existenz ihres Gottes. Wenn dann statt dem Erzengel Michael ich über ihnen stehe, sind sie immer etwas verwundert. Es kann einem fast das Herz zerreißen, jemanden in seinen letzten Momenten so sehr zu enttäuschen. Ich hoffe, dass sie zumindest in der Ewigkeit, der ich sie zuführe, ihren Gott finden. Welcher das auch immer sein mag. Wessen Stellvertreter bin ich dann? Und wer betet mich an und hofft tatsächlich darauf, mich am Ende seiner Tage zu sehen? Versteht mich nicht falsch, ich treffe oft genug Menschen, die mich erwarten und sich darauf freuen, mich zu sehen. Aber selbst dann bin ich für sie nicht die Hoffnung, nur das Ende.

Ein schönes Wort: Psychopomp

Es ist ein Begriff, der mich beschreibt. In vielen Kulturen gibt es ein Bild von mir. Der „Grimm Reaper“, Azrael, Anubis, Charon, Shinigami oder Ogma. Ich fühle mich beinahe geehrt, so präsent in den Vorstellungen der Menschen zu sein.

Aber natürlich habe ich im Januar nicht nur die Seele des Papstes mitgenommen. Besonders in den kalten Wintermonaten, wenn die Menschen und die Natur Verschnaufpause haben, habe ich besonders viel zu tun. Es ist etwas, dass seit dem Beginn der Menschheit und meiner Arbeit gleichgeblieben ist: Sobald die Pflanzen erfrieren, tun es auch die Seelen der Menschen. Dann treffe ich auf besonders viele Verzweifelte. Ihr habt sogar einen Begriff dafür gefunden: „Winterdepressionen“. Ein passender Begriff, wobei es eher ich bin, der in diesen Monaten fast verzweifeln könnte. Ist es für euch Menschen wirklich so schwer, am Leben bleiben zu wollen?

Auch das ist etwas, das mich immer noch verblüfft. Die Verbissenheit, mit der sich einige Menschen ans Leben klammern und die Leichtigkeit, mit der andere ihres aufgeben. Die erste Sorte ist mir lieber, die zweite tut mir nur leid. Ich kann mir nicht vorstellen, was sie durchmachen mussten, um mich als ihren Retter zu sehen. Ich will es auch gar nicht, das würde mich nur von meiner Aufgabe abhalten. Und wer will schon einen Tod, der versteht?


© Johanna Krug 2024-09-18

Genres
Novels & Stories
Moods
Emotional, Reflektierend