by Eles Keyi
„Ah, gibt es schon Essen?“
Es gab nie Essen, wenn diese Frage aufkam. Nur ein anderes, jüngeres Herz, das zwar noch lebensfroh schlug aber immer und immer und immer wieder in sich zersprang.
„Nein, ich bin es, Lotta.“
„Ah.“
Mehr kam nicht. Und mehr war nicht zu erwarten.
Müde saß er in seinem grauen Sessel, eine Decke mit ausgefransten Enden über seine schmalen Beine gelegt. Neben ihm eine braune Kommode mit Fotos. Fotos von ihm unbekannten. Er hob nicht einmal den Blick, starrte bloß weiter aus dem Fenster, während draußen trüber Nieselregen vor sich hin plätscherte und Lottas weinendem Herzen echte Tränen verlieh.
„Was ist aus dem Album geworden?“, fragte Lotta.
„Welches Album?“, kam die Antwort.
Unsicher trat Lotta einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen, einen weiteren. Er sah sie noch immer nicht an. Vorsichtig streckte sie die Hand aus, als wollte sie sein graues, weiches Haar noch einmal berühren. Aber sie zog die Hand zurück. Suchend wandte sie sich dem Nachttisch zu. Zwischen Cremedosen, Gläsern und Tabletten fand sie das zierliche kleine Büchlein mit ihrer geschwungenen Schrift darin. Sie schlug es auf.
Erika lächelte ihr entgegen, einen Blumenstrauß in der einen, eine Torte in der anderen Hand. Auf der nächsten Seite ein schneeweißes Haus mit zwei Gestalten in glücklicher Umarmung. Dann ein Köpfchen, kaum so groß wie eine Handfläche, aus dem zwei blaue Augen hervorschmitzten. Dann eine schwere Eichentür, wieder zwei Personen davor, geschmückt von einer goldenen 50. Lotta schlug das Buch zu.
„Ich lege dir das Album wieder auf dein Kopfkissen“, flüsterte Lotta mit trockener Kehle.
„Ein Album?“, kam die Antwort. Seine Stimme war dünn, wie ein seidener, vergilbter Faden, der mitten im Satz reißen könnte.
„Du… musst ja nicht reinschauen. Ich dachte nur, es würde dich freuen. Es anzusehen.“
Er schwieg. Und starrte auch jetzt nur mit trüben Augen aus dem staubigen Fenster.
„Ich gehe wieder“, sagte Lotta tonlos und blinzelte rasch.
Er wandte sich langsam um. Während er sich zu ihr drehte, huschte ein Schatten über die trüben Falten seines Gesichts. Ein Schatten, den sie einmal gekannt hatte. Sie war bereits im Gehen. Sie hörte es nicht einmal, als er die Worte ein letztes Mal mit raspelnder Stimme formulierte.
„Kenne ich dich?“
© Eles Keyi 2023-05-01