Huhn Anna

Philipp Harre

by Philipp Harre

Story

Kurz nach Feierabend, die Lichter im Nachbardorf sind schon an, die Straßenlaternen malen Milchkreise auf den Boden. Während die Dämmerung in den dunklen Abend übergeht, kurve ich durch die engen Straßen auf der Suche nach Hausnummer 11. Ein Lieferwagen verstellt mir den Blick auf die beleuchtete Hausnummer. Endlich gefunden.

Der Paketbote irrt ebenso hilflos herum wie ich. Auf sein Klingeln und Rufen scheint ihm keiner zu öffnen. Ich nehme das Paket an und hoffe, dass ich es gegen ein Huhn eintauschen kann. “Verkaufe einzelne Henne” war die Anzeige überschrieben. Einer will etwas loswerden und ein Anderer sucht danach.

Vor dem Tor steht ein Kühlschrank auf der Einfahrt, hinter dem Tor stapelt sich allerlei Zeugs. Ein nicht zu übersehendes Schild weist auf den bissigen Hund hin. Unter dem Tor steckt ein kleiner Terrier seine Nase durch. Ich klingle und warte auf den bissigen Kampfhund. In der Hand das Paket und meinen eigenen Hühnertransportkarton. Niemand öffnet.

Der Paketbote ist abgehauen und ich warte. Kein Hoflicht geht an, keine Tür quietscht, kein Mann im Unterhemd ruft seine kleine Fußhupe zurück. Der ausgemachte Zeitpunkt ist gekommen, ich bin pünktlich. Keiner rührt sich. Im Hof gackern Hühner. Plötzlich hält ein verbeulter Kleinwagen in der Einfahrt. Der erwartete Mann im Unterhemd steigt aus und begrüßt mich freundlich mit den Worten: “Fahr deine Scheißkarre hier weg!”

Etwas weiter um die nächste Kurve herum finde ich dann die richtige Nummer 11. Und da wartet auch schon der nächste Unterhemdmann.

“Ich komme, um ihr Huhn abzuholen”, sage ich. Er brüllt über seine Schulter in den Hausflur. “Da steht einer, der will das Huhn.” Ich verstehe, es ist ihr Huhn und nicht seins. Bald ist es hoffentlich meins. Doch erstmal schlängeln wir uns auch hier durch allerlei Unrat hindurch in den Garten, in dem die Hühner frei herumlaufen.

“Wir müssen das jetzt noch einfangen.” Da wäre ich nicht drauf gekommen aber die Idee hört sich gut an. Und nun weiß wahrscheinlich jeder, wie das ist, wenn man etwas versucht, was eigentlich nur scheitern kann. Ein Dutzend Hühner läuft aufgeschreckt durch einen riesigen Garten, auf dessen Rasenflächen mit Kinderspielzeug einige zusätzliche Hürden aufgebaut sind.

Mittlerweile ist es richtig dunkel und die Hose des Unterhemdmanns hängt ihm bei der abendlichen Geflügeljagd bedrohlich tief in den Knien. Aus dem privaten Handel wird langsam ein handfester Beziehungskrach. Während der Terrier aus 11b am Zaun kläfft, bellt der Unterhemdmann Jagdkommandos. Die Hühnerbesitzerin wiederum watschelt in ihren pinken Plastiksandalen dem Huhn hinterher.

Dann geht alles ganz schnell. Der Unterhemdmann hat es unter einem Busch hervorsagen können, die Hühnermutter versperrt ihm den Fluchtweg und das bemitleidenswerte Huhn rast direkt in meine Arme. Horrido! Klappe zu!

© Philipp Harre 2023-07-23

Genres
Novels & Stories
Moods
Funny