Kapitel 6

Jette Dzillack

by Jette Dzillack

Story
Cambridge 2022 – 2023

Kalte Luft und Nieselregen schlagen mir in mein Gesicht. Dieses Wetter ist das komplette Gegenteil von dem sonnigen Kalifornien. Andere würden jetzt wahrscheinlich meckern, aber ich mag es. Ich bleibe kurz auf der Treppe stehen und atme die frische Luft ein. In Gedanken verloren, bemerke ich nicht, dass sich eine ältere Frau hinter mir bereits aufregt. “Jetzt laufen Sie schon weiter! Soll ich etwa krank werden? Diese jungen Leute von heute sind nicht mehr ganz bei Sinnen!”. Ich schaue wieder nach vorne und muss grinsen. Ja Juney, du bist jetzt endlich dort, wo du schon immer sein wolltest.

Ungefähr 30 Sekunden nachdem ich mein schweres Gepäck vom Kofferband gehoben habe, tippt mich jemand auf die Schulter. Ein Mädchen mit blonden Haaren und vielen bunten Strähnen steht vor mir. Sie muss ungefähr mein Alter sein und hat ein riesiges Grinsen im Gesicht. Sie spiegelt das komplette Gegenteil von mir wider. Meine Klamotten in Herbsttönen verschwinden neben ihrem Großstadt Indie Look. Ihre Erscheinung schreit nach dem Wort “extrovertiert”. “Hi, ich Pipe, deine Patin für dieses Semester. Mega cool, dass ich dich so schnell gefunden habe!! Ich liieeebe deinen Style, so mysteriös *hihihi*. Ich freue mich so, dass du endlich da bist!” . Ich bin nicht so schnell eine Antwort zu finden wie sie, denn schon werde ich ziemlich fest von ihr umarmt. Sie überrumpelt mich beinahe. “Lass mich dein Gepäck nehmen, du musst eine lange Reise hinter dir gehabt haben! Wie war der Flug? Gab es Turbulenzen? Gab es schreiende Babys an Board und du konntest deswegen nicht schlafen?” . Oh man, das kann ja was werden…

Im Auto, dass uns zu Campus bringt, hört Piper immer noch nicht auf zu reden. Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, es werden immer mehr Fragen und Informationen. Weit weg von ihr, sind meine Gedanken, nämlich an dem Ort, wo ich mich frage, ob ich es hier in einer neuen Stadt, 9000 Kilometer von zu Hause alleine schaffen werde. Aus diesem Grund antworte ich immer nur einsilbig, mit Ja oder Nein oder kurzen Sätzen. Piper scheint mir sehr quirlig und laut zu sein, weswegen ich mich automatisch allein fühle, obwohl ich doch geradezu mit Freundlichkeit überschüttet werde. Ist das nicht paradox? Unterdessen tippe ich eine Nachricht an Mama ins Handy.

Ich: Ich bin gelandet und sitze gerade im Auto zum Campus. Ich habe bereits eine Patin, sie heißt Piper….. Mama bitte hilf mir!!!! Ich ruf´dich heute noch an. Hab dich lieb!

Ich schalte meine Airpods wieder ein und schaue aus dem Fenster. Das verregnete England trifft meinen Blick und keine Ahnung wieso, aber ich muss schon wieder grinsen. Freude, aber auch Einsamkeit durchfluten mich gleichzeitig. Deswegen schließe ich meine Augen und lasse mich zu der Melodie von “Evergreen” fallen.

© Jette Dzillack 2023-07-19

Genres
Novels & Stories
Moods
Dunkel, Traurig
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