by Orsolya Cseh
Diesen langen, heiĂźen Sommer bezeichneten wir so, jene wenigen Monate, in denen die Felder unter den Gyimeser Bergen goldgelb wurden.
Du hast mich für zwei Wochen zu dir nach Hause zu deinen Eltern gebracht. Deine Mutter wartete bereits unter dem kunstvoll geschnitzten Szekler Tor auf uns, als wir auf die staubige Straße traten, unsere Rücken beladen mit den röhrenförmigen Rucksäcken. Sie servierte uns dampfenden Maisbrei mit Schafskäse, garniert mit köstlichem, fettem Speck. Dann kam dein Vater vom Feld herein, lehnte seine Sense an die Wand und nachdem er auch zu Mittag gegessen hatte, holte er seinen eigenen Tabak heraus und stopfte seine Pfeife.
An Sonntagnachmittagen rauchten wir auf der Veranda und tranken Kirschpálinka, deine Lieblingsfrucht. Deine Eltern mochten mich, sie sagten es oft. Dann erzählten sie fröhliche Geschichten aus ihrer eigenen Kindheit. Hauptsächlich konnte dein Vater an diesen langen, sengenden Sonntagnachmittagen stille Anekdoten erzählen.
In diesen Wochen erkundeten wir die Region Harghita. Wir bestiegen Berge, badeten im Bach und knabberten an wilden Himbeeren auf den schwankenden Wiesen der Hochebenen. Bei Sonnenuntergang sahen wir aus einem Jagdversteck eine Bärin mit drei Jungen. Flüsternd, deine Augen leuchteten, zeigtest du auf die Tiere. Bei Morgendämmerung beobachteten wir Hirsche, wie sie sich dem Bach näherten, um zu trinken. Abends hast du mich deinen Jugendfreunden vorgestellt. Wir tranken Wein und Pálinka, während wir Äpfel und Speck über den glühenden Kohlen rösteten. Als unser Essen aufgebraucht war, hast du mir deinen Regionstanz beigebracht, während ein Roma-Musiker in der Kneipe deine Melodie spielte. Du hast mich am Hüftbereich festgehalten und mich herumgewirbelt, während die Jungs mit ihren Stiefelschäften den Takt geklatscht haben und wild gesprungen sind.
Nachts sind wir heimlich auf die Wiese geschlichen. Der Himmel war so klar, dass die Milchstraße über uns sichtbar war. Das Geräusch des Bachs hallte von fern wider, während das kalte Wasser zwischen den Felsen hindurchtröpfelte. Wir kuschelten uns in der Nähe der Heuballen. Bei Morgengrauen hauchte der dunkle Kiefernwald rosa Nebel aus, und taunasses Gras lag neben uns.
Als wir zur Universität zurückkehrten, begannen die Erinnerungen an den Sommer langsam zu verblassen. Schließlich habe ich mich im späten Herbst von dir getrennt, denn zu diesem Zeitpunkt liebte ich bereits jemand anderen. Seitdem hast du mich nie wieder gegrüßt. Immer wenn wir uns trafen, gingst du mit erhobenem Kopf an mir vorbei, ein verletzter Ausdruck in deinen Augen.
Als die Revolution im Dezember ’89 in TimiČ™oara ausbrach, war ich bereits weg. Ein paar Tage zuvor war ich nach Ungarn geflohen. Später hörte ich von Bekannten, dass man dich in den chaotischen Tagen der Revolution ins Gesicht geschossen hat. Du hast es nicht mehr geschafft, den Eisernen Vorhang fallen zu sehen, den Vorhang, den du selbst hast niederreiĂźen wollen.
In deiner Heimatstadt haben sie eine Plakette zu deinem Gedächtnis errichtet. Der Held der Revolution.
Seitdem legt jedes FrĂĽhjahr jemand einen StrauĂź schwarzer Tulpen neben die Steintafel.
© Orsolya Cseh 2023-09-18