by Marco Zander
Kaffee
Donnerstag – morgens – am Frühstückstisch.
Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass wir das Schöne als schön wahrnehmen, weil es uns eine Gleichzeitigkeit vermittelt. Was wir da betrachten, fasst zusammen, vereint, sodass wir nicht in der Zeit hin- und herspringen müssen — alles passt sich fließend wahlweise in den Strom, den Fluss oder das Rinnsal Zeit ein. Wenn ich Lušis auf dem Balkon, vertieft in die Betrachtung ihrer Hände, aufschrecke, habe ich das Gefühl, sie genau aus diesem Fluss zu reißen. Selbst, wenn ich sie nur beim Kaffeemachen betrachte, muss ich daran denken, dass hier gerade alles seinen gebotenen Gang nimmt. Die achteckige Moka beginnt gerade zu fauchen, weshalb Lušis sie auf die kalte Herdplatte setzt. Dann holt sie die Kaffeetassen, füllt sie und danach sitzen wir noch eine Weile gemeinsam beim Frühstück: Sie redet, ich höre zu. Dass sie unzusammenhängend spricht, meint sie. Ich sage: „Du überspringst ein paar Gedanken, ja.“; sie lacht und ich versuche ihr zu folgen.
Um 09:15 Uhr ist es dann Zeit mit der Arbeit anzufangen. Ich erinnere sie daran.
Und nun? Nun beginnt ein Arbeitstag. Für uns beide. Sie klappt ihren Laptop auf, ich meinen. Eigentlich haben wir zur Zeit jede Woche Kontakt, oft ausführlich. Trotzdem habe ich erst gestern erfahren, womit sie sich gerade ihr Leben finanziert … und bei dem Gedanken, wird mir ein wenig klamm ums Herz: Drei und nochmal fünf Stunden täglich bringt sie damit zu, einem Unternehmen dabei zu helfen, seine Salesforce-Daten besser auszuwerten: Welche Kennzahlen sind geeignet, um einen Kunden mit Kaufinteresse auszumachen?, welche Leads bekommen welchen Score? — Daran war natürlich nichts verwerflich. Ja, Lušis war eben gut in solchen Dingen. Im Lösen abstrakter Probleme. Somit ergab das nur Sinn. Sie hatte Mathematik und Philosophie – mit Schwerpunkt Logik – studiert und hatte Freude daran. Sie glaubte an die Wahrheitssuche mittels klarer Strukturen, wie das in der Logik der Fall war; mir war dennoch nicht ganz wohl bei dem Gedanken. Nicht nur, weil es gefährlich war, etwas, das man mochte, zu seinem Job zu machen — insbesondere, wenn es so wesentlich zweckentfremdet war.
© Marco Zander 2023-12-31