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Lichter der Insel

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Lichter der Insel | story.one

Zischend taucht der glutrote Sonnenball ganz weit hinten, ganz am Ende des Meeres ins schaukelnde Nass. Die Wellen glitzern wie in Goldfolie verpackt. Über die schwarzen Felsen, poröses Lavagestein, rollt ungestüm die Brandung hinweg, Meerwasser zerfließt in Aushöhlungen, versickert in dunkle Löcher, schwarzglänzende Krebse sonnen sich im letzten Abendrot des Tages. Weiter oben, am Rande eines ausgetrockneten Bachbetts, dessen Wasser irgendwann in grauer Urzeit mäandernd einen Weg durch Felsgestein gefunden hat, fühlen Mimosenzweige an windschiefen Bäumen mit ihren zittrigen Fingern nach dem Wind.

Weiter vorne, gleich neben den Klippen, träumt der geduldige Leuchtturm von alten Zeiten. Sein Mauerwerk zeigt eine brüchige, zerschlissene Landkarte, verworrene Linien, die ständig mit neuen Wegen die Gedanken in ein unbekanntes Überall locken. Vor einer kleinen Hütte, windgeschützt zwischen Felsen baumelt eine Wäscheleine, an der buntgefärbte Batik in der leichten Abendbrise winkt. Von der Spitze des Leuchtturms singt eine Lerche ihr Lied von der Friedlichkeit der Insel, immer wieder begleitet vom an- und abschwellenden Rauschen der Wellen.

Langsam weckt die Dämmerung den alten Leuchtturm. Seit Hunderten von Jahren ist er Tag für Tag in seinen Gedanken versunken, träumt hinein ins Sonnenlicht. Er ahnt nichts vom Leben am Felsenstrand unter seinen Füßen. Seine Hoffnung heißt Nacht, im Mondschein lebt er auf.

Die Milchstraße funkelt wie eine Quarzader im dunklen Gestein. Der Himmel leuchtet, millionenfacher Schein auf Widerschein, dem Meer entgegen. Dattelpalmen greifen mit ihren schwankenden Wedeln nach der Mondsichel. Wettergegerbte Fischer, in ihren Gesichtern Spuren, die harte, salzige Gischtwellen ein Leben lang in die Haut gebrannt haben, werfen von ihren roten Booten selbstgeknüpfte Netze im seichten Wellenschlag aus. Heimat blinkt der Leuchtturm von der Spitze des Felsen den Fischern zu … seine Mitternachtsträume schwimmen wie in Samt gebettet auf dem Wasser.

Im Dunkel der Nacht lebt der alte Leuchtturm auf. Seit Hunderten von Jahren sieht er Nacht für Nacht in unzählige Augen. Er weiß alles über die Sehnsucht von der Unendlichkeit des Himmels, von der Unendlichkeit des Meeres. Und er weiß, wie schön die Einsamkeit sein kann, wenn am frühen Morgen das Licht wieder über die Berge der Insel fällt. Sein Leben, reich in seiner Genügsamkeit, heißt ewiges Warten …

Von seinem Leben auf den Felsen verlieren die heutigen Fischer der Insel kein Wort, sie erzählen nur wenig von ihrem alten Leuchtturm. Für sie zählt nur der Fisch, ohne zu fragen, ob es lohnt, was es bringt … und wenn sich das Wetter über dem Meer austobt, sind sie dem blinkenden Turm in der Brandung dankbar für sein leuchtendes Rufen auf ihrem Weg zurück in den Hafen.

© Bernd Lange 2021-07-24

ReisenReif für die Insel

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