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#kindheit#erinnerungen#garten

Sommer wieder

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Sommer wieder | story.one

Sommerfreuden, zum Umarmen nah, an jenen ersten Julitagen. Ich konnte sie greifen, in der Hand halten. Es brauchte nicht viel: eine kurze Hose und Kniestrümpfe. So leicht war das.

Großvaters und Großmutters Schrebergarten, in einer Kolonie inmitten der riesengroßen Stadt, damals. Mit dem Holzhäuschen mittendrin, in dem die Gartengeräte sauber sortiert aufgestellt, angehängt, abgelegt waren. Ein quadratischer Holzschuppen, nach zwei Seiten, gegenüberliegend die kleinen blinden Fenster, vorne die nach langem Winter quietschende Tür, deren Scharniere Großvater gleich geölt hat, wenn er das erste Mal im neuen Jahr wieder anfängt, in seinem geliebten Garten zu graben, zu säubern, zu jäten, zu säen. Das jedes Jahr auch wieder frisch gestrichene Gartenhäuschen, dunkelbraun, mit dem leicht schrägen Wellblechdach, damit der Regen in die Regenwanne ablaufen kann, das im Sommer dringend zum Gießen der Pflanzen benötigt wird.

Die grüne Bank im Schrebergarten vor dem Schuppen, ebenfalls aufgefrischt, noch hängt der Geruch der Farbe in der flimmernden Luft. Großvater auf der Bank, mit verschränkten Armen, seine Pfeife im Mund stößt kringelnde Rauchwölkchen in die Luft, Käfer wandern über seine ausgestreckten Beine, über seine klobigen Gartenstiefel. Großmutter links neben ihm, in ihrer Küchenschürze, die sie auch im Garten trägt, immer, die Stopfnadel in der einen Hand, in der anderen Opas Strümpfe, einem nach dem anderen zieht sie derbe Fäden durch, stopft die Löcher, wo Opas vorwitzige Zehen aus der Wolle guckten, wenn er sie anhatte.

Die Schaukel in Großelterns Garten. Ich auf der Schaukel, ein schmales Brett, zwei Seile, oben am dicksten Ast des Apfelbaumes verknotet – sie trägt einen Namen: Glück. Hin und her schaukelt es mich. Die Beine um die Knie frei, der Luftwind beim Schaukeln streicht über die Haut, leichte Gänsehaut. Nicht lange, dann kommen die Sommersprossen, auch an den Beinen … und die blauen Flecken, die Schürfwunden, aufgeschlagene Knie, die an der Tagesordnung sind.

Die ovale Zinkwanne, wacklig neben dem Schuppen im Schatten des Kirschbaums. In peinlicher Unterhose plansche ich darin, nicht allzu hoch, wellenschlagend das aufgefangene Regenwasser – doch ausreichend für mich, um Kapitän zu spielen und über die sieben Meere fernen Häfen entgegenzupaddeln, -zusegeln. Ein kleines Holzschiff, ein paar Zentimeter Kordel dran, und schon bin ich unterwegs, Christoph Kolumbus mein Begleiter, heute Amerika, morgen Indien, übermorgen Afrika, egal, ich fahre übers Meer, von der Sonne bestens aufgewärmt, mein kleines unendliches Meer. Und dann gehts wieder auf die Schaukel, das gleiche Spiel als Pilot, endloses Fliegen, ohne dass mir schwindlig wird. Ich fliege in unbekannte Städte, Destinationen, auch wenn es das Wort in meinem Sprachschatz noch nicht gibt, in Städte, die ich bis heute nur von der Landkarte und von Bildern her kenne.

Ewige Sommertage waren es, sie wollten kein Ende nehmen …

© Bernd Lange 2021-06-03

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