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#vater#sohn#beziehung

Geschichten einer Zukunft

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Geschichten einer Zukunft | story.one

Ben (22), Wien - 22. April 2050, 17.30 Uhr

Die Anmeldungen für die kommende Woche mussten bis Freitag 18.00 Uhr abgeschickt werden. Ben hatte also noch eine halbe Stunde, konnte sich aber nicht entscheiden. Auf dem Bildschirm vor ihm stand groß „Kalenderwoche 17 / 25.4. - 01.05.2050“ und darunter sah er ein befülltes Kalenderblatt.

Die verfügbaren Jobs waren grün hervorgehoben. Einer dieser Jobs war zusätzlich mit einem roten, blinkenden Punkt versehen, dort wurde also noch dringend jemand gebraucht: „Unterstützung im Altenheim“, Mittwoch von 8.00 bis 20.00 Uhr. Er schielte kurz auf sein Pensum für diesen Monat in der oberen rechten Ecke. Ihm fehlten noch genau zwölf Stunden. In der Regel übernahm er die Jobs mit den rot blinkenden Punkten aber er konnte schon jetzt die grünen PVC-Böden sehen und eine Mischung aus zu schnell gekochtem Kaffee, Babypuder und Zahnhaftcreme riechen. Mit unangenehmen Gefühlen konnte er sich an seinen einzigen Besuch in einem Altenheim erinnern. Sein Großvater verbrachte dort seine letzten Tage. Dass es nicht diese Erinnerung war, die ihn davor zurückschrecken ließ den Job im Altenheim anzunehmen, sondern die Vorstellung alten Menschen möglicherweise bei der Körperhygiene helfen zu müssen, gestand er sich nur widerwillig ein.

Ben lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er war Anfang zwanzig. Ein Grundeinkommen gab es schon, solange er denken konnte. Die weltweite Jobplattform „Take Care, Take Care, Take Care“, mit der man sein Grundeinkommen nochmal verdoppeln konnte, war etwas jünger. Auf der Plattform gab es ausschließlich Jobs für die man keine große Qualifikation brauchte, ein PKW-Führerschein war aber praktisch, um auch die Kleinbusse, die die letzten Kilometer des öffentlichen Verkehrs übernahmen, steuern zu dürfen. Man gab Nachhilfestunden, unterstützte die Müllabfuhr oder half in einer der zahlreichen Kultureinrichtungen.

Für ihn stand schon in der Schule fest, dass er die Plattform nutzen würde, plante er doch so lange zu sparen, bis er es sich leisten konnte mit einem der großen Segelschiffe zu verreisen. Eine Weltreise war alles andere als billig und dauerte, seit es keine touristischen und nur wenige geschäftliche Flugzeuge mehr gab, Monate oder Jahre.

Sein Vater erzählte ihm manchmal von Zeiten, in denen von jedem Erwachsenen erwartet wurde, mindestens vierzig Stunden pro Woche zu arbeiten. Viele Menschen arbeiteten in schlecht bezahlten Jobs und unter Bedingungen, die er sich heute nicht mehr vorstellen konnte. Hatte man keine Arbeit, reichten die Sozialhilfen gerade für das Notwendigste und manchmal nicht mal dafür. Gleichzeitig hatten andere Menschen mehr Geld als so manche Staaten, die es damals auch noch gab. Für ihn machte das alles keinen Sinn.

Schließlich lehnte er sich vor und blieb seinem Vorsatz, dort wo es am dringendsten gebraucht wurde zu helfen, treu. Er bestätigte den Job im Altenheim und atmete einmal tief durch.

© Bernd Schmidl 2022-06-18

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