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#weisheit#herzlichkeit#schwäbischealb

… bloß fir oi Nacht …

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… bloß fir oi Nacht … | story.one

Irgendwo in der Prärie der Schwäbischen Alb treffen wir auf Frau Häfele.

Es ist Mai. Wir sind auf Tour. Soeben neigt sich der Tag seinem Ende zu. Unser Blick schweift über die weiten Hochflächen auf der Suche nach einer Unterkunft.

„Des koschd dann fei femfazwanzich Euro, des Zemmr, weils halt bloß fir oi Nacht isch, gell?“, sagt eine freundliche, leicht brüchige Stimme.

Nach dem fünften Klingeln war sie die Treppe heruntergekommen. Ihre Haustür sei doch immer offen!

Klein und breit steht sie vor uns, mit Kittelschürze und wachen Augen. Begutachtet unsere Räder:

„Hend Se au koi Schaldong dro? I au net.“ Sie kichert. „A doch, 3-Gang hend Se, ja, des han i au.“

Den Fahrradschuppen schließt sie nicht ab. „Do isch no nia was wegkomma.“ Auch Hausschlüssel händigt sie keine aus, weil „I bee emmr uff“.

Wir bekommen das andere von den zwei Zimmern. Im ersten wohnt „so a jongr Mo halt, ausm Erzgebirge.“

Den Flur zwischen den Gästezimmern hält sie sauber und aufgeräumt. Die Toilette ist geräumig und kahl, die Wände fleckenlos weiß, in die Ecke stellt sie einen 50 Jahre alten Staubsauger.

Unser Zimmer möbliert sie mit allem Notwendigen: Bett, Schrank, Tisch, zwei Stühle. Die Zimmertür hat eine Glasscheibe, bei Bedarf könnten wir ja den Vorhang zuziehen. Für diese Tür überreicht sie uns einen riesigen Schlüssel.

Den Aufenthaltsraum richtet sie mit allem ein, was der Gast braucht: Kühlschrank, Wasserkocher, EIN Vesperbrett, EINEN Teller, EIN Glas, EIN Messer, EINE Gabel, EINEN Löffel, EINE Tasse. Freie Eckchen nutzt sie für dekorative Spitzendeckchen, Plastikblumen, liegende Gartenzwerge, sogar Grünpflanzen. Das Sofa macht sie mit einer Häkeldecke „saugmiadlich“.

Sie empfiehlt noch eine kleine Abendrunde zum neuen Trimm-dich-Pfad. „Des isch gar net weit.“ Stimmt, aber steil.

Sie kennt die Gepflogenheiten im Ort. Die Speisekarte im Gasthof. „Was isch heit? Samschdich? Ja, do macht se vielleicht äbbas.“ Tatsächlich bekommen wir trotz Hochzeitsgesellschaft „a Schnitzele“.

Am nächsten Morgen begrüßt sie uns mit einem frischen „Guada Morga!“ Sie wartet ab, bis wir vom Rauchen zurück sind und uns zum Frühstück einfinden. Erst jetzt entbietet sie uns den angemessenen Morgengruß „Scheene Pfengschda!“ Stolz präsentiert sie uns den gedeckten Tisch inmitten ihres kleinen Wohnzimmers, das mit privaten Erinnerungen und viel geschenktem Kitsch gut bestückt ist. Sie freut sich über unsere Freude über das üppige Mahl.

Heute, am Feiertag, trägt sie einen Rock und einen feschen Pullover mit breiten rosa und lila Querstreifen. An ihrem Hals blitzt keck ein gestärkter weißer Spitzenkragen hervor.

Während wir unsere Räder satteln, hält sie noch ein Schwätzchen mit uns.

Frau Häfele hat viele Runzeln im Gesicht und ist sehr, sehr hübsch. Sie ist 83 Jahre alt. „Des isch d'Arbad, dui hält halt jong!“

Ich bin sicher, Frau Häfele ist dieses Jahr 91 geworden. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie durchs Dorf radelt, aufrecht wie eine Ritterin.

© Brigitte Hieber 2021-07-19

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